Die Eule - Niederrhein-Krimi
Monate. Ich meine das ernst. Alle Fahrzeuge und die Männer auf den Dächern, alle sollen weg!«
»Runter« – das hieß, der Entführer hatte sich in eine Wohnung geflüchtet, vielleicht sogar in ein Dachgeschoss, von wo aus er den Überblick über den gesamten Platz und die Bewegungen der Polizei hatte. Karin gab den Befehl zum Rückzug.
Burmeester sah sie fragend an. Lag dort oben nicht auch das gerade bezogene Domizil des neuen Kollegen?
»Ich will hier kein Blutbad verursachen. Seine Reaktionen sind nicht kalkulierbar, und es gibt keine Verhandlungsbasis. Entweder wir verhaften Con, oder er erschießt sie.«
* * *
Beim Krisenstab lauschten alle Anwesenden angespannt über Funk, berieten in kurzen, knappen Sätzen über die Entwicklung, die das Drama in der Innenstadt nahm. Während Jerry noch mit Moritz im Gespräch war, sorgte Tom sich um die Sicherheit seiner Kollegen, ließ sich das Anlegen der Sicherheitswesten bestätigen und fragte nach Deckung. Auf diesem Weg erfuhr er, dass nicht alle Männer vom SEK abgezogen waren, aber für den Entführer unsichtbar blieben.
»Haben die Kollegen den Rücken gedeckt? Da steht doch kein Fahrzeug mehr.«
»Sie haben den Dom im Rücken, das ist schon sicher. Da gibt es Mauervorsprünge, die zusätzlichen Schutz bieten.«
Der Staatsanwalt bedeutete ihnen, sie sollten leiser sein, man verstehe ja nichts.
Schweigend warteten sie auf den nächsten Zug.
* * *
Die Tür des Hauses mit den Arkaden an der Ecke zur Köppeltorstraße ging auf, ein Mann schob eine Frau vor sich her. Er hielt ihr seine Waffe an die Schläfe. Karin meinte ihn zu erkennen, suchte einen Moment lang die zurückgedrängte Menge nach dem Diakon ab.
Gero von Aha folgte aufmerksam ihrem Blick. »Dort Conrad van Laak, Diakon aus Kevelaer, geborener Stricker. Hier Carl Stricker, lange verschollener Zwillingsbruder aus Erfurt. Die Einzelheiten der Familiengeschichte kennen Sie bereits.«
Sie verstand, da führte der andere Zwilling die Schwester auf den Platz. Der Mann schaute sich hektisch nach allen Seiten um. Plötzlich strauchelte er auffällig, ein inszenierter, einstudierter Stolperschritt, dachte Karin noch, während Cornelia Garowske die Gelegenheit nutzte, ihren Bruder umstieß und nach der Waffe griff. Sie riss den gestürzten Gegner in die Höhe und stellte ihn als Schutzschild vor sich.
Die Polizisten, die Menschen im Hintergrund, niemand regte sich. In Karins Kopf spulten sich die Möglichkeiten ab, die ihnen nun verblieben.
»Was soll das, Con? Das hat doch keinen Zweck!«
Mitten in ihre antrainierten strategischen Gedanken als Polizistin erreichte Karin die feste, klare Stimme der Frau. »Fahr den Wagen vor. Hier ist nichts zwecklos, Kindchen, es läuft nur anders als geplant.«
Burmeester stand hinter Karin, raunte ihr zu: »Aus dem Krisenstab wird der finale Schuss freigegeben, wenn sie Ernst macht. Das ist gegen die Regel, aber wir haben in diesem Fall Rückendeckung von höchster Stelle.«
Con bohrte ihrem Bruder die Waffe unter den Unterkiefer, ihre Finger spannten sich kräftig um den Abzug, ihre Knöchel schienen blutleer und weiß. Con bewegte die Fingerspitze am Abzug. Die kennt kein Erbarmen, dachte Karin.
»Okay, Schussfreigabe.«
Burmeester gab den Scharfschützen ein Zeichen.
Ein Schwarm Stadttauben stob mit knatternden Flügelschlägen hoch, als ein Schuss peitschte.
* * *
Der Krisenstab geriet in Unruhe, die Funkverbindung stand, trotzdem gab niemand den neuesten Stand durch. Tom meldete sich mit erforderlicher Funkdisziplin und erhoffte sich Berichterstattung von Burmeester. Der meldete sich mit Verzögerung.
»Finaler Schuss durchgeführt. Cornelia Garowske ist tot.«
* * *
Karin blickte fassungslos zu dem am Boden knienden Mann, der vor seiner leblosen Schwester hockte. Ein verbrauchtes, verlebtes, graues Gegenstück zu Conrad van Laak. Ein Beamter hatte die Waffe zur Seite gekickt und an sich genommen. Ein weiterer Polizist stand gemeinsam mit Gero von Aha neben Carl Stricker. Sie wollten ihm wohl den Moment des Abschieds lassen.
Was dann geschah, hatte Karin Krafft noch nie in ihrer Dienstzeit erlebt. Carl Stricker beugte sich zu seiner Schwester und berührte sie am Kopf. Kein Abschiedsgruß, nein, er schob erst das rechte, dann das linke Augenlid hoch, fühlte an der Halsschlagader nach dem Puls, um sich zu vergewissern, dass sie tot war. Bevor er aufstand, spuckte er ihr angewidert ins Gesicht. Voller Verachtung und ohne
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