Die Eule - Niederrhein-Krimi
Mief, den dieser junge Mann hinterlassen hatte, staute sich. Er zog die Rollläden hoch und ließ den Raum auf sich wirken. Wohnung konnte er diese Behausung nicht nennen. Insgesamt ungefähr zwanzig Quadratmeter groß, unterteilt in einen Wohnschlafraum mit Kochnische und ein Bad. Der Kommissar stand mitten in dem multifunktional genutzten Raum, unter seinen Füßen eine Mischung aus gebrauchter Wäsche, alten Zeitungen und leeren Pizzapackungen, Getränkedosen und Chipstüten. In der Kochnische stapelte sich verdrecktes Geschirr mit verkrusteten Mustern, in einem Topf bildeten sich Blasen auf einer undefinierbaren Flüssigkeit mit pelzigem Belag. Vermodernde Kohlsuppe, ekelhaft. Das schien die Hauptursache für den widerlichen Geruch zu sein, der in der Luft stand.
Tom suchte einen Deckel, fand einen Teller, der passte, dichtete das Gefäß ab und öffnete die beiden Fenster. Ratlos blickte er sich um. Dies war das Zuhause des untadeligen Konditorlehrlings, fleißig, korrekt, immer pünktlich und ach so ordentlich. An der Wand über der Schlafgelegenheit mit längst überfälliger Bettwäsche hing eine Sammlung höchst erotischer Poster, die es bestimmt nicht am Kiosk gab. Tom Weber holte sich die Aussagen des Lehrherrn ins Gedächtnis zurück: »Der Holger hatte nichts mit Frauen, war einfach ein netter Junge.« Und die Nachbarn hatten zu erzählen gewusst, er lebe zurückgezogen, habe nie Besuch. Kein Wunder.
Zwischen dem ganzen Chaos machte Tom Weber ein Laptop aus, halb verdeckt in Bettnähe stehend, offenbar schnurlos mit dem Internet verbunden. Er zog sein Handy aus der Jackettasche und wählte Heierbecks Nummer, gab die Adresse durch und orderte Unterstützung.
»Hier sieht es aus wie nach einem Bombeneinschlag.«
»Brauchen wir die Spezialisten?«
»Nein, pardon, das war nicht korrekt. Der junge Mann war so eine Art Messie, das ist wieder mal so eine völlig zugemüllte, verkommene Wohnung. Das Opfer hatte einen guten Leumund, und allein dieser Widerspruch macht mich stutzig. Ich möchte hier auf keinen Fall etwas übersehen.«
Heierbeck versprach, sich schnell auf den Weg zu machen.
Unterdessen schnappte der Kommissar sich das Laptop, räumte eine Fensterbank frei und drückte die Starttaste. Benutzername und Passwort wurden von ihm erwartet, das hätte er sich denken können. Was ging in dem Kopf des angehenden Konditors vor sich, was würde so einer als Passwort auswählen? Joghurterdbeerkuchen, Lady Gaga, Schalke 04 oder Rosenstolz? Tom Weber zog das Asservatentütchen mit dem Taschenkalender des Toten aus seiner Brusttasche. Die meisten Seiten des in weichem Kunststoff gebundenen Büchleins waren unbeschriftet, die Wallfahrt des vergangenen Wochenendes war dick eingekreist, seit Februar hatte auch jeder Donnerstag solch einen Kreis, in dem eine Zwanzig stand. Es gab nur wenige Telefonnummern im Verzeichnis. Eine von seiner Arbeitsstelle, eine andere Nummer war betitelt mit »GdW«, mehrere 09005-Nummern, manche mit Ausrufzeichen, andere mit Fragezeichen versehen, manche durchgestrichen. Offensichtlich ein Fan des privaten Nachtprogramms.
Bei einer Weseler Nummer stand » CON« , in großen Lettern und ungelenk unterstrichen. Okay, das konnte sich Tom Weber denken, aber für was stand »GdW«? Gewerkschaft der Weckmänner? Einem Geistesblitz folgend gab er » CON« als Passwort ein, das Programm reagierte, die gespeicherte Welt des jungen Mannes stand ihm zur Verfügung. Tom Weber klickte sich durch die Dateien, ging ins Netz, um das E-Mail-Fach zu suchen, fand mehrere Verbindungen zu unterschiedlichen Chats, öffnete virtuelle Räume, in denen sich das untadelige Kerlchen als gut bestückter Supermann präsentierte. Er fand Flirtchats und Partnervermittlungen. Alles drehte sich um zwei elementare Schwerpunkte eines fremden Lebens: Sex und Einsamkeit. Tom Weber wählte Karins Nummer.
»Hi, weißt du, wofür ›GdW‹ steht?«
»Ja, da bin ich gerade, das sind die ›Gerechten der Welt‹. Gibt’s was Neues?«
»›Gerechte der Welt‹ – was es alles gibt«, staunte Tom Weber. Er berichtete in Kurzform von seinen Eindrücken und der Entscheidung, Heierbeck dazu zu ordern.
»Gut. Bring das Laptop mit, vielleicht versteckt sich da noch etwas hinter dem Offensichtlichen.«
So war sie, die Chefin, dachte er noch. Nicht aufgeben, alles auseinandernehmen und selbst im Nanobereich zuversichtlich nach verwertbaren Informationen suchen.
* * *
Karin Krafft war nicht überrascht gewesen, Con
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