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Die Eule - Niederrhein-Krimi

Die Eule - Niederrhein-Krimi

Titel: Die Eule - Niederrhein-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Thomas u Wirth Hesse
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gegenüber einem Zersetzer wie ihm milde stimmen.
    Zurück in der abgedunkelten Zelle, in die nur mageres Licht durch Glasbausteine fiel, hatten seine Mitgefangenen nur hämisch aufgelacht. »Weißt du nicht, das ist Blut-Traudl, das ist die Richterin Gnadenlos, wenn man kein Risiko beim Urteil eingehen will. Eine Adelige, die schon 1932 in die KPD eintrat, die 1945 und 1946 die Volksgerichtsschule Potsdam absolvierte und dann ohne Jurastudium ins Oberste Gericht der DDR aufstieg. Eine Hundertfünfzigprozentige, die hat schon zehn Todesurteile auf dem Gewissen.«
    Nein, so klar war das dem Mann nicht gewesen, verzweifelt und hilflos hielt er die geballten Fäuste vor den Mund, um nicht loszuschreien.
    Betont formal korrekt war die Anklageverlesung »wegen Verbrechens gegen Artikel 6 der Verfassung der DDR « gewesen. Gegen den Vorwurf »Spionage, Staatsverbrechen, Fluchthilfe« hatte er sich gewehrt, aber natürlich ließ sich nicht leugnen, dass er den Arbeiter- und Bauernstaat verlassen und die Staatssicherheit hinters Licht geführt hatte, also ein Geheimnisverräter war. In schneidendem Ton und voller inbrünstiger Staatstreue wies Gertraud von Ehrenhain den Angeklagten ein ums andere Mal zurecht. Das Licht fiel durch schöne Rundbogenfenster sanft in den Gerichtssaal, aber der Mann in den Ketten erlebte ein finsteres Schauspiel, ein Drama, in dem er ungewollt die Hauptrolle spielte.
    Es hatte schon begonnen, als die Richterin um Punkt neun Uhr zehn den Ausschluss der Zuschauer wegen »Gefährdung der öffentlichen Ordnung« verkündete. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte noch gehofft, er könne sich durch demonstrative Kooperation selbst retten. Er wollte sich als warnendes Beispiel herumreichen lassen, allen Instanzen und sogar dem Volk erzählen, wie verführerisch die Konterrevolutionäre aus dem Westen arbeiteten und was man tun müsse, um sich selbst nicht vom rechten sozialistischen Weg abbringen zu lassen. Das war nur Selbstschutz und so etwas wie die Suche nach der letzten Chance. Doch er war als Exmajor der Stasi lange genug Teil des Machtapparats gewesen, um zu wissen, dass ihm mit diesem abgekarteten Beginn der Verhandlung auf dieser Erde nicht mehr zu helfen war. Er war verloren, und er verzichtete augenblicklich auf die Hilfe seines Verteidigers, der mit scheinbar empörtem Gesichtsausdruck das Weite suchte.
    Der Vorwurf des Staatsanwalts war so allgemein gehalten, dass die Schar der Zeugen aus Staatssicherheit und Volkspolizei, aus Behörden und Familie ihre gewünschten und abgesprochenen Aussagen ungestört machen konnten. Um sechzehn Uhr fünf ergriff »Blut-Traudl« das Wort, plusterte sich auf und ließ jede strafverschärfende Erkenntnis wie ein Schwert herniedersausen. In seelenloser Prosa begann sie mit seinen Taten als Wilddieb 1944, seiner angeblich vorgetäuschten Staatstreue, die ihm die Einstellung als Volkspolizist einbrachte, wenig später der Übertritt zur Staatssicherheit, wobei er seine Zeit beim faschistischen Selbstschutz in Polen verschwiegen habe, die zersetzende Kritik an der Stasi, obwohl er der Lohn und Brot verdanke, bis hin zu seiner Republikflucht.
    »Damit hat er bewusst zur Führung des Kalten Krieges gegen die DDR die Fronten gewechselt und das Volk verraten. Damit hat er die bereits in der DDR begangenen Verbrechen und die infame Hetze gegen unseren Arbeiter-und-Bauern-Staat fortgesetzt. Und gegen die Staatssicherheit«, donnerte Gertraud von Ehrenhain in den leeren Saal.
    Kein Wort darüber, wer mich von West- nach Ostdeutschland verschleppt hat und wer sich schuldig gemacht hat, dachte der Angeklagte, der dem Redeschwall längst nicht mehr folgen konnte.
    Um sechzehn Uhr fünfzig beendete die Richterin ihre krausen Ausführungen mit dem Schlusswort, dass die Schwere des Verbrechens die härteste Strafe erfordere, die unverzüglich auszuführende Todesstrafe.
    Später würde sie in ihrem Dienstzimmer die Urteilsbegründung diktieren. Sie würde sich keine Mühe geben, nicht einmal Tipp- und Schreibfehler korrigieren. Das mit Hammer und Zirkel gesiegelte Urteil 1Ks20/1960 würde nie publiziert werden. Sie würde nur eine formelle Begründung zum Urteil an das Politbüro der DDR schicken. Dort war das Verfahren fünf Wochen vor dem Beginn des Prozesses als »Verschlusssache« behandelt und unter Punkt 7a der Urteilsvorschlag »Gegen den Angeklagten soll die Todesstrafe beantragt werden« höchstpersönlich vom Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht

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