Die Eule - Niederrhein-Krimi
Verbindungen zu einem Mordfall am Niederrhein aufdecken, der als Verkehrsunfall getarnt werden sollte. Die Ursache liegt meines Erachtens weit zurück, die Spuren führen hier nach Erfurt. Es muss familiäre Verstrickungen gegeben haben, tiefe Verletzungen, die nie aufgearbeitet wurden und sich in einer Gewaltexplosion am Niederrhein, in der Nähe von Xanten und Wesel, entladen haben. Und zwar Jahrzehnte später. Ich weiß es nicht genau, meine Nase sagt es mir.«
»Das ist ein bisschen wenig, um mir einen Anhaltspunkt zu geben, wie ich helfen kann.«
»Ja, aber es gibt Mosaiksteine. Irgendwann vor rund vierzig Jahren wurde in unserem Fall der Stasiapparat angeworfen mit geheimen Treffen, Festnahme und Verhören. Ich habe herausgefunden, dass es besondere Zusammenkünfte in einer konspirativen Wohnung gab.«
Noch immer standen sie auf dem Bahnhofsvorplatz, ungeachtet der Menschen, die ständig an ihnen vorbeihasteten.
»Gut möglich, das war ein übliches Verfahren bei Horch und Greif. Gero, das hier war ein Überwachungsstaat. Penible Aufarbeiter haben für die Landeshauptstadt das Thema konspirative Wohnungen überprüft. Du ahnst nicht, wie viele sie gefunden haben: fast fünfhundert. Es gibt heute sogar eine Stadtkarte, in der sie alle eingezeichnet sind. Wie lange, hast du gesagt, bleibst du hier, um allein diese Wohnungen zu überprüfen?«
»Christiane, bis morgen. Meinetwegen bis spät in die Nacht. Es freut mich, dass du dich auskennst, du steckst richtig drin im Thema. Im Zug habe ich im Internet gesurft. Das ist ja unglaublich, was hier alles von der Stasi recherchiert wurde, welche Geheimaktionen bekannt sind, welche Wohnungen verwanzt waren, wohin welche Leute eingeladen wurden. Günter Grass war zum Beispiel im Visier der Stasi. Seit 1961, also zwei Jahre nach Erscheinen der ›Blechtrommel‹, versorgte unter anderem Hermann Kant die Firma mit Expertisen über den späteren Nobelpreisträger aus dem Land des Klassenfeindes. Der Mann war immerhin früher Präsident des DDR -Schriftstellerverbandes.«
Gero von Aha redete sich in Rage, er konnte nicht nachvollziehen, warum und wie dieser nun vergangene Staat geglaubt hatte, seine Existenz durch absolute Kontrolle sichern zu können. Seine neuen Kollegen in Wesel hatten ihm erzählt, dass kürzlich im Preußenmuseum in der Zitadelle eine Ausstellung über die DDR zu sehen gewesen war. Ein Weseler Pfarrer, der lange Verbindung zu einer Gemeinde in Brandenburg pflegte, hatte zusammengetragen, was ihm kennzeichnend für den anderen deutschen Staat erschien. Die Ermittler vom Niederrhein, sozusagen die Leute vom Fach, hatten staunend bis belustigt den legendären Fotokoffer mit der Mini-Praktica, der heute als Relikt des Kalten Krieges im Leipziger Stasimuseum zu sehen ist, von allen Seiten begutachtet. Als noch kurioser beschrieben sie die Blechgießkanne, die mit einem Fotoapparat bestückt bei der Beerdigung eines Dissidenten auf dem Boden drapiert wurde und die Trauernden von unten ablichtete. Alles sei ihnen wie die Ideen eines mittelmäßigen Filmregisseurs für einen Spionagethriller vorgekommen.
»Finde ich völlig gaga, welcher Überwachungsaufwand da betrieben wurde. Das war echt skurril. Warte, ich habe mir etwas notiert.« Gero von Aha fingerte in seinem Rucksack nach dem Schnellordner, während Christiane ihn spöttisch und von so viel Eifer fasziniert beobachtete.
»Da, ich hab’s. 1988 wurde Grass bei seinem Besuch hier in Erfurt bespitzelt. Der Arbeiter-und-Bauern-Staat hat Folgendes herausgefunden: ›Grass und seine Ehefrau waren im Beobachtungszeitraum sauber und ordentlich gekleidet. Grass ist starker Pfeifen- und Zigarrenraucher. Nur seine Ehefrau fuhr den Pkw. Bei ihren Fahrten in Erfurt und Weimar konnte eingeschätzt werden, dass beide über keine Ortskenntnisse verfügen …‹«
Christiane prustete höchst amüsiert los. »Das habe ich auch gelesen, das ist der Stoff, aus dem Stadtführer Anekdoten in ihre Rundgänge einbauen. Wenn ich das höre, läuft ein Film in meinem Kopf ab. Weißt du, in graue Mäntel gehüllte, fotografierende und notierende Geheime, geduckt hinter Hausecken und so. Aufgeplustert und beeindruckt von der eigenen Bedeutung, um ein Rinnsal an Erkenntnissen zu produzieren. Aber was willst du mit solchen Informationen, bringt dich das voran?«
Der Kriminalkommissar blickte ernst auf. »Könnte man sich ernsthaft fragen. Das hört sich alles komisch an, ist dennoch nicht zum Lachen. Weil dahinter
Weitere Kostenlose Bücher