Die Eule - Niederrhein-Krimi
Menschenrechtsverletzungen stehen, weil diese kleinen Geschichten den Geist kennzeichnen, der herrschte und die Basis für andere, harte Maßnahmen war. Der die Firma Horch & Greif wie im Automatikgang vorantrieb. Der bedeutete, dass die Stasi Erfolge vorweisen und ihre Wichtigkeit bestätigen musste. Der zeigte, wie wenig Selbstbewusstsein dieser Staat hinter der politischen Fassade besaß. Günter Grass hatte ja keine Folgen gespürt, man hat ihn nur beschattet. Aber andere Schriftsteller in Ostdeutschland wurden zensiert und kaltgestellt. Einer wurde zum Beispiel von seinem eigenen Bruder, einem strammen Parteimitglied, verraten. Weißt du, Christiane, ich will über den Umweg des alltäglichen Stasigeschäfts verstehen lernen, zu welchen Monstrositäten ein nur sich selbst verantwortlicher Überwachungsstaat fähig war. Ich versuche nachzuvollziehen, wie die dachten, die geheim handelten. Das ist der Schlüssel zu unserem Kriminalfall am Niederrhein.«
Gero von Aha zwang sich, wieder den Bogen zu seiner Ermittlungsarbeit in Wesel zu spannen.
»Mann, wie viele Kräfte und wie viel Geld da gebunden wurde, das hätte man in die Versorgung der Menschen stecken sollen. Die Liste mit den konspirativen Wohnungen kenne ich, ich habe sie durchforstet. Auf den unvollständig erhaltenen Kopien in meiner Dienststelle, die wir bei einem Sektenmitglied gefunden haben, steht ›Mühl…‹. Darauf passt nur eine Adresse hier, die Mühlhäuser Straße.«
Die Augen der Stadtführerin blitzten auf, das Jagdfieber hatte sie infiziert, packte sie. »Das ist mal ein Fakt, die Straße liegt in einem schönen, unspektakulären Wohnviertel nahe der Uni. Wir nehmen die Straßenbahn direkt dorthin, von da sind es nur ein paar Meter zu Fuß zur früheren Stasizentrale von Erfurt und der Gefängnisgedenkstätte, wo der Beißer arbeitet. Also ab!«
Sie zögerte, sprach dann doch aus, was geheimnisvoll klang. »Da ist noch ein Freund von mir, ein Hacker. Der hockt auf dem Petersberg in einem Bau, der trotz der vielen Restaurierungen vor sich hingammelt.«
»Was kann er uns liefern?«
»Der knackt uns Informationen, die nicht offiziell in den Stasiuntersuchungsakten stehen. Die sind vorhanden, dürfen aber aus verschiedenen Gründen nicht verwertet werden. Manchmal hat auch niemand Interesse daran, sie zu nutzen. Es gibt zu viele alte Seilschaften, die arbeiten teilweise in Geheimbünden. Die alten Kader halten zusammen. Aber wir wissen mehr über sie, als sie ahnen. Wir sollten auf den Petersberg, denn dort gibt es nicht nur die von deiner persönlichen Stadtführerin empfohlene Festung und Zitadelle zu erkunden.«
»Du meinst, es gibt so etwas wie Schattenermittlungsakten?«
»Schlaues Kerlchen, der Herr Eule! Das ist alles nicht ungefährlich, und obendrein nicht legal. Nicht so richtig jedenfalls. Komm, da fährt unsere Straßenbahn ein.«
Gero von Aha liebte diese leichte Gänsehaut, diese kribbelnden Augenblicke, in denen Bewegung in einen schier aussichtslosen Fall kam. Er fühlte sich beschwingt von Christianes Energie und Wissen, das musste er zugeben. Am Abend würde er sie fragen, ob sie nach dem Treffen mit Beißer mit ihm noch etwas trinken gehen würde. Er nahm seine Kamera aus dem Seitenfach des Rucksacks und machte, während sie losliefen, ein paar Aufnahmen von dem geschichtsträchtigen Hotel. Natürlich auch von Christiane, die keck ins Objektiv grinste. Er blickte abrupt zur Haltestelle und bemerkte im Augenwinkel eine schemenhafte Bewegung. Jemand schien seinen Rhythmus aufzunehmen und ihm zu folgen.
* * *
Alexander Stricker, dem Versicherungsagenten im Freizeitoutfit, sprich Luxusjeans und Jackett, darunter ein lässiges Polohemd mit einem kleinen Reptil auf der Brust, stand Angstschweiß auf der Stirn, als Karin Krafft ihn in das offizielle Verhörzimmer bat. Der fensterlose Raum mit dem großen Spiegel, der kargen Einrichtung, Tisch, zwei Stühlen, auf dem Tisch ein Mikrofon, schien den Mann zu beeindrucken. Tom Weber hatte ihm nicht verraten, zu welchen Fragen er Stellung zu nehmen hatte. Die Hauptkommissarin verließ noch einmal den Raum, ließ Stricker ein wenig im eigenen Saft schmoren, gesellte sich kurz zu Tom, der hinter der verspiegelten Scheibe saß.
»Die Erpressung der Witwe aus Hamminkeln kriegst du wahrscheinlich innerhalb der ersten halben Stunde aus ihm heraus. Der rieb sich während der Fahrt ständig die verschwitzten Hände an den Oberschenkeln trocken, der ist fertig, glaub mir. Sei
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