Die Eule von Askir
die Schublade am Nachttisch auf. Dort lag der Wolfskopf. Mit einem breiten Grinsen steckte Wiesel die Statuette ein.
Einen Moment später war er durch die Balkontür hindurch, mit einem Sprung erreichte er das Dach, mit dem nächsten war er über die Kante hinweg und spurtete über die flachen Dachziegel, um mit einem gewagten Sprung den tiefen Abgrund zwischen sich und dem Dach des Nachbarhauses zu bezwingen.
Wiesel kam unsauber auf, rutschte ab, konnte sich gerade so festhalten und zog sich auf das Dach hinauf. Jetzt, wo er in Sicherheit war, fielen ihm seine gebrochenen Rippen wieder ein. Sie brachten sich auch gerade vehement genug in Erinnerung.
Wiesel lächelte grimmig, als er keuchend auf dem Nachbardach kniete und wartete, bis der Schmerz etwas nachließ. Diese Methode funktioniert sogar, dachte er und versuchte den unheimlichen Anblick von eben zu vergessen. Wenn man vor Angst fast stirbt, dann interessieren einen gebrochene Rippen nicht. Er raffte sich auf und eilte davon.
31
»Eine echte Eule in Askir«, hauchte der Stabssergeant der Wache beeindruckt und sah immer wieder zu der Maestra hinüber, die bewegungslos mitten in der Gasse stand. Nur eine Fackel, die eine der Seeschlangen neben den Leichen in den Boden gerammt hatte, spendete Licht, und Desina stand schon länger so da, still wie eine Statue. »Die ist doch echt, Leutnant, nicht wahr?«, fragte der Soldat hoffnungsvoll.
»Sie ist eine echte Eule«, bestätigte Santer und unterdrückte einen Seufzer. »Echter geht es nicht.«
Als Desina und er von der Hafenwacht zurückkehrten, hatten sie eigentlich vorgehabt den Turm aufzusuchen, es gab dort noch mehr als genug Arbeit für Desina. Es war auch schon spät genug, die Abenddämmerung und die hohen Mauern hüllten viele Teile der Stadt bereits in tiefe Schatten.
Aber kaum, dass sie die Zitadelle betreten hatten, kam ein Schreiber der Federn herangeeilt und berichtete, dass man im Händlerviertel einen Toten gefunden hatte, der vielleicht durch Magie gestorben war. Schon der erste Blick auf die Leiche machte Magie als Todesursache wahrscheinlich. Wenigstens redete der Tote nicht so viel wie der Sergeant, dachte Santer und rieb sich die Stirn. Er hatte bislang kaum Schlaf bekommen und war rechtschaffen müde.
»Irgendwie ist sie auch unheimlich. Ist es wahr, dass Eulen in der Nacht besser sehen können als am Tag?«
»Stabssergeant?«
»Ja, Ser?«
»Hört auf zu plappern.«
»Ja, Ser!« Der Mann schloss den Mund und nahm Haltung an, aber es fiel ihm sichtlich schwer, sodass Santer ein Einsehen mit ihm hatte. Er gab dem Mann ein Zeichen, ihm zu folgen, und begab sich dorthin, wo die anderen drei Seeschlangen der Patrouille standen.
Dort stand auch schon der Karren des Leichenputzers. Weder der Kutscher noch der Esel hatten je einen Grund zur Eile.
»Sie darf nicht gestört werden, wenn sie ihre Magie wirkt«, erklärte Santer leise. »Es braucht hohe Konzentration.«
»Aber sie steht doch nur so da.«
»Oh, könnt Ihr das Wirken von Magie beurteilen, Stabssergeant? Vielleicht solltet Ihr Euch besser bei ihr melden, die Stadt braucht noch mehr Eulen.«
»Nein, Ser. Ich meinte nur… ja, Ser!«
Santer seufzte. »Sie ist eine ganz normale junge Frau. Nur dass sie magische Talente besitzt. Weder sieht sie in der Nacht besser als andere, noch wachsen ihr Federn, verstanden? Die Eule ist nur ihr Wappentier, nicht mehr. Und jetzt erklärt mir noch mal, wie es zu dem Leichenfund kam.«
»Wir erhielten einen Hinweis. Dort drüben, das Haus.« Der Soldat wies auf ein Gebäude auf der anderen Straßenseite, ein Haus in typisch imperialer Bauweise, zwei Stockwerke hoch, um einen Innenhof gebaut, mit Fenstern nur im ersten Stock. »Ein Händler namens Olmann wohnt dort. Er ist etwas ängstlich, Ser, kann nachts nicht schlafen, weil er ständig damit rechnet, von Wiesel bestohlen zu werden.«
»Aha«, meinte Santer.
Zwei der Fenster des Hauses waren erleuchtet, die Läden offen, an einem dieser Fenster stand ein Mann in Nachthemd und Nachtmütze, und wenn sich Santer nicht irrte, dann war das, was vor ihm auf einem Stativ stand, ein Sehrohr. Der Händler ließ es sich wohl nicht nehmen, alles genau zu beobachten. Santer widerstand der Versuchung, dem Mann zuzuwinken. Nicht, dass der noch durch den Schrecken aus dem Fenster fiel.
»Und weiter?«
»Nun, er ist so ängstlich, dass er der Nachtwache immer gern mal ein Silberstück zusätzlich gibt, wenn wir um sein Haus herumgehen
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