Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
warum solche Eile nötig war. Da ich in New York beschäftigt war, hatte ich eigentlich keine Zeit für eine Stippvisite in Berlin.
Als das Präsidialamt selbst sich bei mir meldete, erklärte ich, dass ich die Ehre zu schätzen wisse, aber augenblicklich nicht könne. Worum es eigentlich ginge? Um den Euro. »Gut«, antwortete ich, »da ich demnächst an einer Aufsichtsratssitzung bei der Bayer AG in Leverkusen teilnehme, könnte ich einen Abstecher nach Berlin machen.«
Das Treffen mit dem Bundespräsidenten war zwischen elf und zwölf angesetzt. Als ich eintraf, wunderte ich mich über den von Wulff gewählten Ort der Begegnung. Während sein Vorgänger, Horst Köhler, zu solchen Unterredungen immer in ein Arbeitsgebäude, einen schwarzen Rundbau, gebeten hat, lud Christian Wulff mich sozusagen hochoffiziell ins Schloss Bellevue ein. Das beeindruckende Ambiente war mir von vielen gesellschaftlichen Veranstaltungen früherer Bundespräsidenten bekannt. Nun gut, ich trat ein in den Glanz alter Zeiten, ging die Treppen hoch und wurde von einer Mitarbeiterin mit der Bitte begrüßt, mich ins Gästebuch einzutragen. Das war mir neu.
Sie schlug eine Seite auf, die noch völlig leer war, mit einer Ausnahme: Links oben hatte sich ein guter Bekannter, ifo-Chef Hans-Werner Sinn, verewigt. »Sieh an«, dachte ich, »Wulff will es wissen.« Ich wurde in einen Raum gebeten, wo mich ein Team von drei Mitarbeitern empfing, darunter auch, wenn ich mich recht erinnere, ein Angestellter der Bundesbank, der mir seine Visitenkarte überreichte.
Dann kam Christian Wulff herein, so freundlich, offen und wissbegierig, wie ich ihn aus vielen Begegnungen kannte. Er dankte mir für mein Kommen und fragte mich ohne viele Umstände, was es eigentlich mit dem »Nord-Euro« auf sich habe. Er musste also vom Inhalt meines kurz zuvor erschienenen Buches Rettet unser Geld! Kenntnis erhalten haben, in dem ich zum ersten Mal diese Idee entwickelte: den Euro aufzuteilen in eine starke Nordwährung und einen schwächeren Euro für die verbleibenden Länder des Südens. Das hatte anscheinend sein Interesse geweckt.
Rund eineinhalb Stunden lang sprachen wir über den Euro. Ich kann mich sehr gut erinnern, den Bundespräsidenten mit großer Vehemenz auf ein Problem hingewiesen zu haben: die widerrechtlichen Aufkäufe von südländischen Staatsanleihen, die eigentlich nur Schrottwert hatten, durch die EZB . Ganz abgesehen davon, so erklärte ich ihm, dass dieses Vorgehen volkswirtschaftlich schädlich sei und Europa auch politisch viele Nachteile bringe, würde damit auch gegen geltende Verträge verstoßen. Um die Schuldenstaaten Griechenland und Portugal mit derlei verdeckten Krediten über Wasser zu halten, zögerte man nicht, von allen Euro-Staaten unterzeichnete Abmachungen zu brechen.
Beim Abschied sagte Christian Wulff: »Zwar bin ich nicht für ihren Plan, doch ist es wirklich interessant, dass mir der Besucher, der vor Ihnen hier war, Ihre Warnungen auch schon gesagt hat. Doch haben Sie, im Unterschied zu Ihrem Vorgänger, wenigstens eine Lösung vorgeschlagen.« Er hatte mir nicht gesagt, wer es war. Ich sagte ihm trotzdem: »Ich weiß, wer Sie vorher besucht hat.« – »Und woher?« – »Nun«, entgegnete ich, »Sie haben da ein Gästebuch …«
Was mich an jenem Augustabend in Bregenz an Wulffs Rede so packte, war die Tatsache, dass er die Bedenken, die er nun äußerte, schon ein halbes Jahr zuvor von Hans-Werner Sinn und mir gehört hatte und gewiss von seinem kompetenten juristischen Stab im Präsidialamt hatte bestätigen lassen. Es erstaunte mich aber, dass er sie publik machte. Das grenzte an Tollkühnheit. Denn wenn ein Bundespräsident als Hüter der Verfassung sich dahingehend äußert, dass die Europäische Zentralbank auch in deutschem Namen Rechtsbruch begeht, muss die Bundesregierung selbstverständlich reagieren. Was das Staatsoberhaupt da sagte, war eine unmissverständliche Aufforderung an die Kanzlerin, aktiv zu werden.
Warum aber hatte er die Tagung der Nobelpreisträger in Lindau ausgewählt? Ich bin mir sicher, dass er nach einer geeigneten Plattform suchte, Angela Merkels unaufhaltsamer Euro-Dynamik einen Bremsklotz unterzuschieben. Zwar würde er seinen Appell »So geht es nicht weiter« nur einem kleinen Kreis Ausgewählter mitteilen. Doch wusste er, dass die anwesende internationale Presse eine breite Öffentlichkeit über seine Bedenken informieren würde. Und darauf war es ihm wohl angekommen.
Ich wartete
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