Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
Feldzüge benutzt?
Ein Nachtrag zum Thema Staatsaffäre. Natürlich haben auch andere Länder ihre politischen Skandale. Im Gegensatz zu den Deutschen und ihrer lautstarken Boulevardpresse gehen sie aber locker damit um. Nachdem Christian Wulff in die Wüste geschickt worden war, wollte ein Pariser Freund von mir wissen, ob die Deutschen eine, wie er es nannte, »nationalmasochistische« Veranlagung hätten. Irgendwie klang das, als wolle er sagen: vom Nationalsozialismus zum Nationalmasochismus.
Ich fragte, wie genau er das meine. Er lachte. Was da mit dem Bundespräsidenten geschehen sei, wäre in Frankreich undenkbar. »Bei euch Deutschen aber mit eurem ausgeprägten Selbstanklagereflex sehr wohl. Erst wirft man dem harmlosen Mann Bagatellen vor, als hätte er eine Bank überfallen. Dann bläst man zu einer Hetzjagd auf ihn mit unappetitlichen Untertönen in Richtung seiner Frau, und merkt vor lauter Bestrafungswut nicht, dass man sich als Nation zum Gespött der Weltöffentlichkeit macht.« – »Fast hat es den Anschein«, so sagte mein Freund, »als würden die Deutschen, statt anderer, nun sich selbst verfolgen. Irgendwie legen sie das Verhalten eines Verurteilten an den Tag, der auf Bewährung freigelassen wurde: Um nur ja nicht gegen die Auflagen zu verstoßen, benimmt er sich mit peinlichster Korrektheit und kommt jeder möglichen Kritik mit hysterischer Selbstkritik zuvor.«
Es gibt, im Gegensatz zur causa Wulff, auch wirkliche Staatsaffären, die durch tatsächliches Fehlverhalten, ja kriminelle Handlungen von Politikern ausgelöst werden. Ich meine also nicht Wulff’sche Petitessen, die von der Bild -Zeitung zu Kapitalverbrechen aufgebauscht werden, sondern echte kriminelle Handlungen wie Korruption, Selbstbedienung an Staatseigentum oder Missbrauch von Untergebenen. Es ist zu begrüßen, dass die Toleranz der Weltöffentlichkeit gegenüber solchen durch Macht ausgelösten und gedeckten Vergehen sinkt.
Auch bei der Ahndung von Affären lässt sich allerdings ein Nord-Süd-Gefälle beobachten. Während der Norden, zumal Deutschland, hohe Sensibilität gegenüber Schwächen von Amtsträgern aufweist, stumpft im Süden das Rechtsempfinden ab. Silvio Berlusconi konnte sich Fehltritte erlauben, die im Vergleich mit Wulffs Ungeschicklichkeiten wahre Hämmer waren. Und doch hält er sich in Politik und Rampenlicht, um seine fragwürdigen Interessen durchzusetzen. Oder soll man an die griechischen Tricks erinnern, die sich mit getürkten Zahlen in den Euro einschlichen? Echte Empörung löste das nirgendwo aus.
Wie ich Frankreich, das ich liebe, volkswirtschaftlich in einem südlichen Euro ohne Deutschland sehen würde, legt es auch in Sachen Staatsaffären eine eher südländische Toleranz an den Tag. Als ich die IBM Europa in Paris führte, kam heraus, dass der blutrünstige afrikanische Diktator Bokassa die Ehefrau von Präsident Giscard d’Estaing mit kostbaren Diamanten beschenkt hatte. Es handelte sich jedenfalls nicht um einen 770-Euro-Oktoberfestbesuch. Als dieser offensichtliche Bestechungsversuch ruchbar wurde – Madame d’Estaing hatte die Klunker ja angenommen –, zuckten meine französischen Kollegen und Geschäftspartner mit den Schultern, und auch die Medien sahen es nicht so tragisch. Durchaus vorstellbar, dass sich die Diamanten heute noch im Tresor der Familie befinden.
Dass die Sache mit den afrikanischen Edelsteinen auch von der Opposition niedrig gehängt wurde, hing wohl damit zusammen, dass Giscards Nachfolger, der Sozialist François Mitterrand, sich den heimlichen Luxus erlaubte, seine Geliebte samt außerehelicher Tochter in einer vom Staat bezahlten Wohnung unterzubringen. Wobei dem Geheimdienst die ehrenvolle Aufgabe zukam, die heiklen Besuche Mitterrands bei seiner Zweitfamilie zu organisieren und zu verschleiern. Die französischen Medien übten noble Diskretion. Und als Mitterrands Lebenswandel doch ans Licht kam, wurde die Kritik am Präsidenten wegen seiner dreisten Vorteilsnahme deutlich übertönt von der unverhohlen zum Ausdruck gebrachten Bewunderung für seine Virilität und Unverfrorenheit. Voilà, un homme.
Um die gute Affärentradition fortzusetzen, beförderte sein späterer Nachfolger im höchsten Staatsamt, der konservative Jacques Chirac, schon als Bürgermeister von Paris Dutzende seiner Freunde und Bekannten, seine amigos sozusagen, auf Scheinarbeitsstellen, die alle vom Staat finanziert wurden. Obwohl dieser Skandal bekannt wurde, empfanden ihn die
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