Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
genesen«, das hat sie oft genug deutlich gemacht.
Als einen der Gründe dafür nannte Dahrendorf die Wechselkurse. »Für Italien sind gelegentliche Abwertungen viel nützlicher als feste Wechselkurse«, erklärte er, »für Frankreich dagegen sind höhere Staatsausgaben viel sinnvoller als starres Festhalten an einem Stabilitätskriterium«, wie Deutschland es forderte.
Natürlich wussten die Politiker dieser Staaten das ebenso gut wie Ralf Dahrendorf. Aber sie wussten auch, dass sie die D-Mark nur stürzen konnten, wenn sie auf die Forderung der Deutschen eingingen. Vorläufig.
Für Dahrendorf war klar, dass der eigentliche Zweck der EU die Kontrolle über den »Riesen Deutschland« war. Auf die Frage nach dem Sinn der Gemeinschaft antwortete er, darauf gebe es »in den meisten Ländern kaum eine andere Antwort als die: um Deutschland einzubinden«. Merkwürdigerweise, so fügte Dahrendorf hinzu, sehen das die deutschen Kanzler seit Helmut Schmidt ebenso. Für mich hat dieser Ausdruck immer den Beiklang von »anbinden«, also fesseln.
»Aus Selbstmisstrauen?«, fragte der Spiegel . Dahrendorf entgegnete, dieses »enorme Misstrauen gegenüber der eigenen Standfestigkeit hat mich immer verblüfft«. Worauf der Spiegel nachfasste, ob der Maastricht-Vertrag demnach doch, »wie der französische Figaro einmal geschrieben hat, ein Versailler Vertrag mit anderen Mitteln« sei? »Dahrendorf«, so der Spiegel , »bejaht indirekt.«
Worauf der prophetische Satz folgte: »Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet.« Sie kann nicht funktionieren, »weil die Wirtschaftskulturen zu unterschiedlich sind«. Was keinem Bundestagsabgeordneten bekannt zu sein scheint, hat Ralf Dahrendorf schon 15 Jahre vor dem ersten Brüsseler Milliarden-Rettungspaket gewusst.
Auch der damalige FDP -Generalsekretär Christian Lindner, mit dem ich 2011 ein Streitgespräch im Focus führte, scheint Dahrendorfs Ablehnung des Euro und seine Begründung zu ignorieren. Als ich auf die entgegengesetzte Mentalität von Deutschland und Frankreich in Wirtschaftsfragen hinwies, der nur durch eine Aufteilung des Euro Rechnung getragen würde, fuhr er auf, meine Vorschläge seien »Dynamit«. Denn »Deutschland und Frankreich zu trennen, diese Vorstellung verstört mich geradezu«. Lindners instinktive Angst vor einer Aufspaltung des Euro, die angeblich »das ganze europäische Projekt beschädigt«, wird von einem Großteil der deutschen Politiker geteilt. Sie ist trotzdem falsch.
Nicht durch vernünftige Abwägung, wie sie aus Dahrendorfs distanzierter Analyse spricht, sondern durch ein tiefer sitzendes kollektives Trauma haben sich die Deutschen an dieser Einheitsvorstellung festgebissen. Man will sich »einbinden« lassen, um nicht wieder in einen deutschen »Sonderweg« zu verfallen.
Und doch stößt man bei jeder Gelegenheit die Nachbarn vor den Kopf. Etwa wenn man bei der Libyen-Resolution des Sicherheitsrats nicht mit Freunden und Verbündeten, sondern mit Russland und China abstimmt. Oder wenn man die gesamte europäische Stromversorgung infrage stellt, indem man, von einem Tag auf den anderen, den Einstieg in das nachatomare Zeitalter verkündet. Dabei leben die meisten unserer Freunde noch in diesem Zeitalter, und zwar gut – und schütteln den Kopf über Deutschlands »Sonderweg«.
Nur wenn es um den Euro geht, gilt für Deutschland unverbrüchliche Nibelungentreue. Duldsam nimmt man hin, dass man übers Ohr gehauen wird, und schweigt dazu. Trotz der ständigen Betrügereien, die durch deutsche Blauäugigkeit geradezu herausgefordert werden, will man auf Mahner wie Lambsdorff oder Dahrendorf nicht hören. Dass die Einheitswährung auf einen deutschen Selbstausverkauf hinausläuft, gehört zu den vielen Denktabus des Deutschen Bundestags und der deutschen Medien.
Zum Abschluss eine persönliche Erinnerung an den großen Deutsch-Briten: Nach Veröffentlichung meiner Memoiren Die Macht der Freiheit im Jahr 2000 habe ich den mittlerweile Siebzigjährigen in Berlin wiedergetroffen. Im Café Einstein sagte er mir, er habe mein Buch mit Vergnügen gelesen und sich über die Stellen gefreut, in denen ich seine Rolle in meinem Leben hervorgehoben habe.
»Sind Sie ganz sicher«, fragte er dann vorsichtig, »dass ich damals ein VW -Cabrio gefahren habe?« Ich war mir sicher, jedenfalls ziemlich, fragte aber doch, ob ich mich etwa geirrt haben sollte. Er
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