Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
also auf die Reaktion der Bundesregierung, die von Christian Wulff herausgefordert worden war. Eigentlich hätte das Finanzministerium umgehend den Vorwurf prüfen, gegebenenfalls die EZB verklagen und den deutschen Vertreter aus dem rechtsbrechenden Gremium zurückziehen müssen. Aber nichts geschah.
Als der Bundespräsident später zu Fall kam, hatte Angela Merkel persönlich nichts damit zu tun. Denn im Gegensatz zu Horst Köhler, den sie in einer ähnlich heiklen Situation im Regen stehen ließ, hat sie Christian Wulff mehrmals in Schutz genommen. Dennoch bemerkte ich, dass der Bundespräsident es sich mit einflussreichen Persönlichkeiten verscherzt hatte.
Sehr auffallend war, dass kein Mitglied der Bundesregierung auf den Hinweis des amtierenden Bundespräsidenten reagiert hatte. Man ignorierte ihn einfach. Und dabei muss seine Kritik am Rechtsbruch im Bundeskanzleramt eingeschlagen haben wie eine Bombe. Doch die Bombe ging nicht dort hoch, sondern unter Christian Wulffs Schreibtisch.
Für das Handelsblatt habe ich im Januar 2012 eine Kolumne unter dem ironischen Titel »Diekmann for President!« geschrie ben, in dem ich das Problem der Pressefreiheit behandelte, wie es sich an diesem Chefredakteur und seinem Opfer Christian Wulff festmachen ließ. Da den damaligen Gedanken nichts Wesentliches hinzuzufügen ist, möchte ich sie dem Leser im Kern zur Kenntnis geben:
Wer kontrolliert eigentlich einen Chefredakteur, der offensichtlich die Bodenhaftung verloren hat?, so fragte ich im Handelsblatt . Jeder, der Macht ausübt, braucht einen Boss oder Fachmann, der ihn kontrolliert. Denn sobald Mächtige niemandem mehr Rechenschaft ablegen müssen, können sie für die Gesellschaft bedrohlich werden. Leider gibt es den aufgeklärten und gütigen Machthaber nur im Märchen, weshalb eine auf gegenseitige Kontrolle angelegte Staatsform wie unsere Demokratie allen anderen vorzuziehen ist.
Doch trifft man, wie der aktuelle Fall »Diekmann gegen Wulff« zeigt, selbst in Demokratien Mächtige, die niemanden haben, der ihnen korrigierend ins Steuer greift, wenn sie sich einmal verfahren haben. Natürlich muss der Chefredakteur einer Zeitung unabhängig sein. Zu Recht lehnen es die Chefs von Massenmedien ab, sich in redaktionelle Belange einzumischen – und das, obwohl der Chefredakteur gerade eines Massenblattes über große Macht verfügt. Man setzt einfach voraus, dass er sie benutzt, um den Mächtigen auf die Finger zu schauen, damit sie auf dem Teppich bleiben und nicht abheben.
Aber kann man wirklich davon ausgehen? Welche Vorsichtsmaßnahme gibt es denn, die verhindern würden, dass ein solch mächtiger Chefredakteur selbst nicht mehr auf dem Teppich bleibt? Wer schreitet ein, wenn dieser Journalist seine wahre Aufgabe vergisst und »Schicksal spielt« oder Privatscharmützel austrägt? Wenn er nicht mehr über die Wirklichkeit berichtet, sondern diese selbst in seinem Sinn zu manipulieren sucht? Wenn er statt der objektiven Wahrheit nur jene Wahrheit gelten lässt, die in sein Bild passt?
Eine Person mit viel Macht, aber ohne Kontrollinstanz, kann nicht nur anderen, sondern auch sich selbst gefährlich werden. Sie glaubt nicht nur, alles richtig zu machen, sondern sorgt auch dafür, dass es an die große Glocke gehängt wird. Sie schwärzt nach Kräften an und sorgt dafür, dass der Betroffene an der nächsten Kolumne aufgehängt wird. Wer massenhaft andere stürzt, steigt unermesslich in seiner Selbstbewunderung. Und kaum einer merkt, dass er eine Spur größenwahnsinnig geworden ist.
Nicht auszudenken für einen solchen Chefredakteur, wenn ihm irgendwann einmal der Bundespräsident selbst vor die Flinte läuft. Bekanntlich ist dieser Fall eingetreten. Der Zerknirschung des Gedemütigten entsprach aufseiten des Demütigers das Hochgefühl ausgeübter Macht. Den Triumph, vom Bundespräsidenten eine persönliche Entschuldigung zu Füßen gelegt zu bekommen, kostete er wohl im Stillen aus.
Um dann den noch größeren Sieg, das N onplusultra seiner millionenfach gedruckten Überlegenheit einzufahren: Er nahm die scheinbar erteilte Gnade zurück und stellte den Bittsteller öffentlich bloß. Überflüssig zu betonen, dass dabei die Grundlagen zivilisierten Zusammenlebens auf der Strecke geblieben sind.
Aber gehört das nicht heimlich zum Triumph hinzu, dass man sich über jegliche humane Konvention hinwegsetzen kann, weil man das als Chefredakteur darf, der die Pressefreiheit als carte blanche für seine
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