Die Euro-Lügner: Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht (German Edition)
seien es einige CDU -Abgeordnete, die gegen Schäuble stimmen könnten.
Wer hatte nun recht? Wie man weiß, vermied die Kanzlerin letztlich den S howdown , ließ ihren hochgelobten Kandidaten fallen und zog Horst Köhler aus dem Hut. Manchmal frage ich mich, wie die Eurokrise verlaufen wäre, wenn Schäuble Bundespräsident und statt seiner ein anderer Finanzminister geworden wäre.
Nach Merkels Coup dachte ich mir zum ersten Mal: Hoppla, vielleicht stimmt irgendetwas nicht mit dieser Frau. Schon einmal hatte sie dafür gesorgt, dass Schäuble ausgebootet wurde: Als sie 1999 in dem berühmten FAZ -Artikel zur Parteispendenaffäre den in der Union bis dahin unantastbaren Helmut Kohl absägte, wurde auch Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzender demontiert – nicht zufällig trat Angela Merkel sein Erbe an. Dass sie ihren Vertrauten, dem sie eine Wiedergutmachung schuldete, 2004 ein zweites Mal fallen ließ, obwohl sie wusste, wie gut er in dieses Amt gepasst hätte, erschien mir, gelinde gesagt, herzlos.
Was genau sie zu ihrem Schritt bewogen hat, weiß nur sie selbst. Möglicherweise hatte Westerwelle ihr doch angedeutet, dass sie Schäuble in der Bundesversammlung nicht durchbringen würde. Möglicherweise fürchtete sie Abweichler in den eigenen Reihen. Möglicherweise wollte sie selbst ihn nicht. Nach außen und auch Vertrauten gegenüber erweckte sie jedenfalls den Eindruck, als stünde sie unverbrüchlich zu ihm. Und arbeitete heimlich an einem anderen Kandidaten, der mit Sicherheit konsensfähig war. Ob es Schäuble vielleicht doch geschafft hätte, wenn Angela Merkel auf seiner Seite gestanden wäre?
Etwas zu sagen und dabei zu verschweigen, dass man das Gegenteil betreibt, nennt man doppelzüngig. Man spricht im Grunde mit zwei Zungen: der einen, die spricht, und der anderen, die schweigt – deren Schweigen aber unbemerkt bleibt, weil es vom Sprechen übertönt wird. So hat Angela Merkel seit Anfang der Eurokrise sehr viel gesagt, aber ebenso viel verschwiegen. Sämtliche Entscheidungen der Euroländer, in deren Falle wir heute sitzen, hat sie anfangs vehement abgelehnt, um sie irgendwann doch zu akzeptieren, abzunicken, durchzuwinken.
Sie forderte automatische Bestrafung von Defizitsündern – und verzichtete während ihres Spaziergangs auf den planches von Deauville darauf. Sie lehnte die »Rettung« Griechenlands ab – und sie kam dann doch. Dauerhafte Rettungsschirme und Euro-Bonds waren für sie tabu – nun sind sie mit dem ESM da. Eine Bankenunion, verharmlosend »Bankenaufsicht« genannt, sollte es auf keinen Fall geben – jetzt bekommen wir sie doch. Die Finanztransaktionssteuer war für sie erst Teufelszeug, jetzt hat sie die Einführung mit beschlossen. Vor allem war Angela Merkel, wie die Bundesbanker und die deutschen EZB -Mitarbeiter, gegen massenhafte Aufkäufe südeuropäischer Staatspapiere, die in Wahrheit Kredite an Staaten waren, die auf dem freien Markt keine mehr bekamen – längst sind sie, mit ihrer Zustimmung, etabliert. Als Mario Draghi, im Vollgefühl der Allmacht, zu der auch sie ihm verholfen hatte, noch eins draufsetzte und für den Notfall den unbegrenzten Aufkauf von Schrottpapieren ankündigte, kam kein Widerwort über ihre Lippen. Lange Zeit hatte sie eine europäische Wirtschaftsregierung abgelehnt, die in deutsche Angelegenheiten massiv hineinregieren könnte – heute bereitet sie ihr den Weg.
Mich wundert immer wieder, wenn ich in der internationalen Presse von Merkels Macht lese, mit der sie angeblich Europa ihren Stempel aufdrückt. In Karikaturen vor allem der Südländer wird sie sogar manchmal mit Stahlhelm oder SS-Uniform dargestellt. Für viele Journalisten ist sie die neue »Madame No«, eine Wiedergängerin der eisernen Margaret Thatcher, die rücksichtslos eigene Interessen verfolgte. Nichts davon stimmt.
Eigentlich ist sogar das genaue Gegenteil wahr. Angela Merkel ist schon deshalb keine Margaret Thatcher, weil sie den Interessen ihres eigenen Landes gar nicht wirklich dient. In Wahrheit liegt ihr nicht Deutschland und ebenso wenig der innereuropäische Wettbewerb am Herzen – sie will Kohls Groß-Europa, ermöglicht durch den Traum der Brüsseler Technokra ten, die Vereinheitlichung statt der Vielfalt. Die EU soll möglichst viel Einfluss erhalten, auf Kosten der Staaten, denen Verantwortung entzogen wird. Dies gilt natürlich auch für Deutschland, das einen Teil seiner Selbstbestimmung, vor allem auf volkswirtschaftlichem Gebiet, abgeben muss.
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