Die Evangelistin
ihm aufzuhelfen.
»David hat mir gesagt, dass du meinen Streit mit Elija gehört hast.« Verlegen strich er sich mit der linken Hand den Staub von der Hose. »Was ich in meinem Zorn gesagt habe, tut mir Leid. Ich liebe Elija wie einen Bruder. Und dich habe ich auch sehr gern, Celestina. Aber ihr beide … eure Liebe … eure Arbeit … O Gott, wie soll ich es sagen? Ich habe Angst um euch!«
»Mein lieber Jakob!« Ich umarmte ihn herzlich. »Hab so viel Angst, dass sie für Elija und mich reicht! Denn wir dürfen keine Furcht haben.«
Eine Bewegung an einem der offenen Fenster der Prokuratien ließ mich hinaufsehen.
Mein Cousin Antonio sah zu mir herunter! Das Hufgetrappel auf der Piazza und die Geräusche des Kampfes hatten ihn geweckt.
Wie ein Blitz traf mich sein hasserfüllter Blick, als er mich in enger Umarmung mit einem Juden sah.
»Wo liegt deine Gondel?«, fragte ich und ergriff die Zügel meines Pferdes.
»Nur wenige Schritte von hier. Am Molo.«
»Kannst du rudern? Oder soll ich dich nach Hause bringen?«
»Das ist nicht nötig. Mein linker Arm ist nicht verletzt«, winkte Jakob ab, um mich nicht unnötig in Gefahr zu bringen.
Gemeinsam gingen wir über die Piazza. Antonios Blicke spürte ich wie scharfe Dolche in meinem Rücken, bis wir am Campanile um die Ecke bogen.
Am Molo verabschiedete ich mich von Jakob, machte seine Gondel los und sah ihm nach, bis er zwischen den Schiffen im Hafen verschwand.
Die Worte auf dem Zettel gingen mir nicht mehr aus dem Sinn:
›So che hai fatto – Ich weiß, was du getan hast.‹
»Celestina, mein Kind«, murmelte er verschlafen, als ich mich auf den Rand des Bettes setzte. Als er sich aufrichtete, klopfte ich das Kissen in seinem Rücken zurecht. »Was willst du denn um diese Zeit hier?«
Nach der nächtlichen Sitzung war er blass und zittrig.
»Ich muss mit dir sprechen, Leonardo.«
»Ich dachte, Tristan wäre bei dir!« Der Doge ließ sich in die Kissen sinken. »Als wir uns verabschiedeten, sagte er, dass er den Tag mit dir verbringen will …«
»Tristan liegt in meinem Bett und schläft. Wir haben die halbe Nacht geredet.«
»Der Prozess gegen den spanischen Converso macht ihm sehr zu schaffen«, murmelte Leonardo.
»Tristan hat mir erzählt, wie Ibn Ezra gefoltert wurde, um ein Geständnis zu erzwingen. Sein Gewissen quält ihn. Ich glaube, der Jude tut ihm Leid.«
Leonardo blickte mich sehr ernst an. »Es ist nicht die grausame Folter, die Tristan so belastet, Celestina. Es ist das Todesurteil, das er unterschreiben muss.«
»Das Todesurteil ?«, flüsterte ich entsetzt. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
»Hat er dir denn nichts davon erzählt?«
»Nein.«
»Salomon Ibn Ezra hat kein venezianisches Gesetz gebrochen. Als frommer Jude geht er in die Synagoge, spricht seine Gebete, hält den Sabbat. Und er ist ein rechtschaffener Bewohner der Republik Venedig, der pünktlich seine Steuern zahlt. Sein einziges Vergehen ist die Missachtung des Sakraments der Taufe – als Converso hat er sich entschieden, in Venedig wieder als Jude zu leben. Bis Freitagnacht war Tristan der Ansicht, das sei kein Vergehen gegen die Sicherheit der Republik. Er wollte Ibn Ezra freilassen.«
»Und dann?«, flüsterte ich atemlos.
»Zaccaria Dolfin hat Tristan im Senat angegriffen: Wenn ein getaufter Christ als Jude lebe, sei das sehr wohl ein Fall für die Staatssicherheit. ›Im Gegensatz zu Venedig sorgt in Spanien die Staatsinquisition für Ruhe und Ordnung!‹, schleuderte er Tristan entgegen. Tristan konnte sich nur mühsam beherrschen. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die beiden in ihrem Zorn aufeinander losgegangen wären.
Wegen der Kriege gegen den Sultan, den Papst und den Kaiser und wegen des wirtschaftlichen Niedergangs sind die großen Adelsfamilien im Senat zerstritten. Wenn es so weitergeht, werden wir bald wieder blutige Straßenkämpfe in den Gassen von Venedig haben wie damals, als Antonio Tron im Senat die Stimme erhob, um Antonio Grimani ins Exil zu schicken. Dein lieber Cousin hat Grimani nach fünfzehn Jahren erbitterter Feindschaft nun den Krieg erklärt und Venedig zu seinem Schlachtfeld gemacht. Wer den Kampf überlebt, soll Doge werden!«
»O nein!«
»Und seit einigen Wochen schüren die Franziskaner den Hass gegen die Juden. Asher Meshullam, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, hat gegen die Hetzpredigten der Mönche protestiert. Ich habe den Patriarchen Antonio Contarini aufgefordert, die Franziskaner,
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