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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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worden war: ›Sprich zur Tochter Zions: Sieh! Dein König kommt zu dir, er reitet demütig auf einem Eselsfohlen!‹ So gingen die Talmidim und taten, wie Jeschua sie angewiesen hatte.
    Sie brachten das Fohlen, legten ihre Kleider darauf, und Jeschua bestieg es. Die Menschenmassen breiteten ihre Gewänder wie einen Teppich auf der Straße aus, während andere Zweige von den Bäumen abschnitten und sie auf die Straße streuten. Die Massen, die vor ihm hergingen und ihm nachfolgten, riefen ihm zu: ›Retter der Welt, erlöse uns!‹ – ›Gesegnet ist er, der im Namen Adonais kommt!‹ – ›Erlöse uns, unser Retter! Gepriesen seist du im Himmel und auf Erden.‹
    Als er in Jeruschalajim einzog, war die ganze Stadt in Aufruhr. ›Wer ist er?‹, fragten sie. Die Leute sagten zueinander: ›Das ist Jeschua, der Prophet aus Nazaret in Galiläa.‹«
    Menandros, offensichtlich ein wenig enttäuscht, weil die Übersetzung keine spektakulären Überraschungen bot, fragte Elija: »Was ist denn nun so anders ? Das ist doch im Grunde derselbe Text wie in den griechischen Evangelien.«
    »Ach ja?« Elija schmunzelte. »Was glaubst du gerade gehört zu haben? Einen triumphalen Einzug des Maschiach anlässlich des Pessach-Festes, einen jubelnden Empfang durch die Festpilger? Und nach den Leidensankündigungen in Galiläa und Jeschuas Aufforderung an seine Talmidim, das Kreuz auf sich zu nehmen und ihm furchtlos nachzufolgen, siehst du nun einen Menschen, der mit seinem Leben abgeschlossen hat und bereit ist, sich zu opfern, weil die Propheten es so forderten? Zur Erlösung der Welt!«
    »Ja«, nickte Menandros.
    »Ich lese in diesen Worten etwas völlig anderes.«
    »Was, Elija? Was siehst du?«, fragte ich ungeduldig. »Beschreibe uns die Szene doch mit deinen Worten!«
    »Also gut: Gehen wir ein Stück des Weges vom Ölberg bis zum Tempel mit ihm und sehen und hören, was er sagt und was er tut.«
    Elija lehnte sich auf seinem Sessel zurück und schloss für einen Moment die Augen.
    »Und dann taucht hinter dem Ölberg die stolze und trotzige Stadt auf«, begann er zu erzählen. Dabei schien er mit seinen Gedanken so weit entfernt, als wäre er wirklich dort . »Hohe, zinnenbewehrte Stadtmauern. Dahinter: eine orientalische Metropolis mit rund fünfzigtausend Einwohnern, bunten Märkten, jüdischen Häusern und Palästen im griechisch-römischen Stil.
    Gegenüber dem Ölberg, jenseits des schmalen Kidron-Tals, ragt der gewaltige Tempel des Herodes in den Himmel. Wie hell die schneeweiße Marmorfassade und die Säulenhallen in der Herbstsonne strahlen! Wie schön die goldenen Verzierungen im Nachmittagslicht funkeln! Welch eine überwältigende Pracht!
    Und neben dem Tempel: der alte Königspalast, der von den Römern zur Burg Antonia umgebaut worden war, deren vier befestigte Türme die Stadt überragen. Zwei Treppen führen von der Festung bis hinunter zum Tempelplatz – die römische Besatzungsmacht beherrscht den heiligen Bezirk.
    Im Westen der Stadt liegt der Palast des Königs Herodes mit seinen gewaltigen Festungstürmen – neben dem Tempel der prunkvollste Bau, der jemals in Israel errichtet worden ist.
    Jeschua steht neben uns auf dem Ölberg und betrachtet schweigend die Stadt. Was denkt er? Er ist so still. Er redet nicht über seine Hoffnungen und Ängste. Zweifelt er an sich, an seiner Aufgabe? Nein! Er hat sich endlich entschieden, und er wird diesen Weg weitergehen. Er muss nach Jeruschalajim gehen, denn erst dort kann sich alles vollenden.
    Schimon Kefa, genannt ›der Fels‹, der zelotische Freiheitskämpfer, ist zutiefst besorgt – wir alle wissen, was Jeschua vorhat. Es ist gefährlich! Ein Scheitern würde keiner von uns überleben! Selbst wenn die Römer uns nicht festnehmen würden – der Hohe Priester Joseph ben Kajafa würde uns an den römischen Präfekten Pontius Pilatus ausliefern, nur um an der Macht zu bleiben! Und wir würden alle ohne Ausnahme vor den Mauern der Stadt gekreuzigt werden. Im Westen, auf der anderen Seite von Jeruschalajim, ragen etliche Kreuze mit verwesenden Leichen in den Himmel.
    Was denkt Jakob? Zweifelt er an seinem älteren Bruder Jeschua? Gewiss, Jeschuas Vorhaben ist lebensgefährlich, doch haben wir nicht auch die Verfolgungen durch Herodes Antipas überlebt, als er uns nach dem Leben trachtete? Warum sollten wir nicht auch die Tage in Jeruschalajim siegreich überstehen?
    Und Jehuda Sicarius? Ungeduldig spielt er mit dem Dolch in seinem Gürtel. Jehuda kann es kaum

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