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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Reiter näherten sich von vorn. Sie hatten ihren Pferden die vorgeschriebenen Schellenhalsbänder abgenommen. Aber ich hörte die Hufe auf dem regenfeuchten Lehm. Und ich sah ihre Schatten in der dunklen Gasse näher kommen.
    Was sollte ich tun? Ich konnte ihnen nicht ausweichen, konnte mich nicht verstecken.
    Mit der Hand am Griff meines Dolches schlich ich weiter.
    Dann – ich erschrak zutiefst! – stürmten mehrere Männer aus den Seitengassen. »Das sind sie! Ergreift sie!«
    Ich verschmolz mit den Schatten.
    Die Asesinos – waren es drei, vier oder fünf? – stürzten sich mit gezogenen Waffen auf die beiden Reiter, die vom Campo San Luca kamen. Einer der Reiter zog seinen im Mondlicht blitzenden Degen und schlug einen Angreifer zu Boden. Der andere versuchte, sein Pferd zu wenden, da er von hinten angegriffen wurde. Ein Asesino sank, verletzt von seinem Dolch, zu Boden und stand nicht mehr auf. War er tot?
    Dann: ein Schrei! Der Schmerzensschrei eines Pferdes.
    Der Hengst des zweiten Reiters stürzte. In der engen Gasse gelang es dem jungen Mann nicht, rechtzeitig abzuspringen. Das Pferd riss ihn mit und fiel auf sein rechtes Bein. Der Mann stöhnte vor Schmerz und wand sich, um sich zu befreien, während sein Pferd qualvoll wiehernd um sich trat, um wieder auf die Beine zu kommen.
    Ein Asesino warf sich auf den hilflos am Boden Liegenden.
    Der andere Reiter focht mit einem zweiten Angreifer.
    Niemand hatte mich bisher bemerkt.
    Sollte ich mich heraushalten und die beiden ihrem Schicksal überlassen? Sie würden diesen Kampf nicht überleben!
    Ich warf den Tallit und das Buch fort, zog meinen Dolch und rannte vorwärts, um den Asesino zu überwältigen, der sich auf den Mann mit dem Degen stürzen wollte.
    Er war völlig überrascht, von hinten angegriffen zu werden. Mit aller Gewalt warf ich mich gegen ihn und drängte ihn gegen eine Wand. Er riss die Hand hoch, und seine Klinge traf mich an der linken Seite. Ich hob den Dolch und rammte ihn dem sich verzweifelt wehrenden Mann in den Hals. Entsetzt wich ich einen Schritt zurück. So wurden Tiere koscher geschlachtet – kein Blut, kein Schmerz, kein Leiden.
    Der Mann rutschte an der Hauswand herunter, fiel auf die Gasse und blieb in einer Pfütze liegen.
    Ich schloss die Augen und sprach ein Gebet.
    Die Beschuldigungen der spanischen Inquisición hatten nicht für eine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen ausgereicht. Ein Mord an einem venezianischen Christen in der Nacht von Jeschuas Himmelfahrt wäre ein besserer Grund gewesen, um mich zu richten. Juden töten nicht in Notwehr, denn Juden tragen keine Waffen! Juden lassen sich verprügeln und misshandeln, um blutige Massaker und die Flucht, die ewige Flucht bis ans Ende dieser Welt, zu verhindern.
    Ich wandte mich um: Der Reiter rang noch immer mit seinem Angreifer. Der Gestürzte hatte sich noch nicht befreien können. Ein fünfter Attentäter kniete neben ihm, den Dolch an seiner Kehle – bereit zu töten.
    Ohne einen Gedanken an die unvermeidlichen Folgen zu verschwenden, warf ich mich mit solcher Wucht auf den Asesino, dass er zu Boden stürzte.
    Der Dolch schlug auf die Gasse.
    Der junge Mann schrie vor Schmerz, als ich auf sein verletztes Bein fiel.
    Der Attentäter lag unter mir, starrte mich erschrocken an und versuchte nach mir zu treten – vergeblich! In der Finsternis tastete er nach dem Dolch, den ich ihm aus der Hand geschlagen hatte. Als er ihn nicht finden konnte, griff er in seinen Ärmel.
    Ich sah das Blitzen seines Messers und stach zu, direkt ins Herz.
    Er war sofort tot.
    Ich richtete mich auf.
    Der andere Mann reichte mir schwer atmend seinen Arm, um mir aufzuhelfen. Dankbar drückte er meine Hand: »Evcharistó, Kyrie! Wir schulden Euch unser Leben.«
    Schweigend erhob ich mich, während er niederkniete, um dem gestürzten jungen Mann zu helfen. Er redete in einer fremden Sprache beruhigend auf ihn ein – war es Griechisch? Dann drehte er sich zu mir um: »Bitte, Signore, helft mir, sie zu befreien. Das Pferd ist verletzt und kann nicht aufstehen. Und ihr rechter Fuß steckt noch im Steigbügel. Ich weiß nicht, ob er gebrochen ist, aber sie hat furchtbare Schmerzen.«
    Der junge Mann war eine Frau?
    Ich half dem Mann, sie unter dem sich vor Schmerz windenden Pferd herauszuziehen. Dann nahm er sie in seine Arme und trug sie einige Schritte in Richtung des Campo San Angelo, wo er sie vorsichtig auf den Boden stellte.
    Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und stützte sich auf

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