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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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er zum Erzbischof ernannt wurde. Er schätzt Elija als großen Gelehrten. Vielleicht wird er mir helfen.«
    »David hat dir geraten, im Bett zu bleiben! Du kannst nicht nach Bologna reiten, Celestina! Du wirst das Kind verlieren!«
    »Ja, Jakob, vielleicht werde ich das Kind verlieren, wenn ich vier oder fünf Tage im Sattel sitze. Wenn du mich vor die Wahl stellst, Netanja zu opfern, um Elijas Leben zu retten, werde ich nicht lange überlegen, was ich zu tun habe.«
    »O Gott«, hatte er gestöhnt. »Du könntest sterben, wenn das Kind auf der Straße nach Bologna zur Welt kommt! Es hat geschneit! Die Straßen sind schlammig und unpassierbar.«
    »Ich werde auch sterben, wenn ich die Hoffnung aufgebe und mit Elija den Scheiterhaufen besteige! Aber ich habe mich für das Leben entschieden, nicht für den Tod. Ich werde versuchen, Elija zu retten.«
    Rabbi Jakob ben Israel Silberstern hatte sich seine Entscheidung zwischen dem Gesetz und der Liebe nicht leicht gemacht. Er hatte mit der Frage gerungen, wie er das Buch, das er mit mir schreiben sollte, mit seinem jüdischen Glauben vereinbaren konnte. Er konnte es nicht. Aber er liebte Elija wie einen Bruder und wollte nicht schuld sein an seinem Tod.
    Yehiel hatte seinem Vater ein paar Sachen eingepackt, denn in den nächsten Tagen würde er bei mir wohnen. Dann hatte Jakob seine Tasche, seinen Tallit und die Tefillin genommen und war, obwohl der Sabbat bereits angebrochen war, mit mir zur Ca’ Tron gerudert. Wir hatten keine Zeit mehr zu verlieren!
    Gedankenverloren starrte ich auf den Satz, den Jakob geschrieben hatte:
    ›Dies ist mein Blut, das für viele vergossen wird!‹
    Jakob und ich hatten uns entschlossen, die Passionsgeschichte neu zu schreiben – aber für uns war es nicht Jeschuas, sondern Elijas Leidenszeit.
    Und so wurde in unseren Diskussionen aus dem von den Römern besetzten Jerusalem das von den Christen eroberte Granada. Die Streitgespräche mit den Pharisäern wurden zu Glaubensdisputationen mit christlichen Theologen. Die langen Merkfäden und die breiten Gebetsriemen der Pharisäer, die Jesus der Scheinheiligkeit angeklagt hatte, wurden zu den franziskanischen Gewändern der Inquisitoren. Der Prozess vor dem Sanhedrin fand in unseren Gedanken in der Mezquita von Córdoba statt, und der Hohe Priester Joseph ben Kajafa, der den Gefangenen zum Tode verurteilte, trug Cisneros’ Züge.
    Aber all das war keine Linderung für unser wundgedachtes Gewissen.
    Nach einer längeren Diskussion änderten wir den Titel des Buches: Wir suchten nicht mehr Das verlorene Paradies , denn das war nun endgültig verloren, sondern verkündeten Das Königreich der Himmel.

    Die ganze Nacht arbeiteten Jakob und ich an unserem Buch. Bis zum Sonnenuntergang des Sabbat hatten wir das erste Kapitel über den messianischen Einzug Jesu zum Pessach-Fest nach Jerusalem fertig gestellt. Mit welcher Heilsgewissheit die jubelnden Festpilger ihre Palmzweige schwangen und Psalmen singend den ersehnten Erlöser begrüßten! Die Szene war so mitreißend und überzeugend erzählt – sie hätte wahr sein können!
    Nach dem Abendessen ruhten Jakob und ich uns zwei Stunden aus. Dann stürzten wir uns wieder auf unsere Bücher, kämpften uns durch Elijas Evangelienübersetzung und seine Notizen zu Rabbinensprüchen aus dem Talmud und schrieben weiter an unserem Evangelium.
    Vor Monaten hatte Elija seinem zweifelnden Freund erklärt, die christlichen Evangelien seien vom jüdischen Glauben durchdrungen: »Mach dir die Mühe, und reiße alle Zitate aus der Tora, den Prophetenbüchern und den Psalmen aus dem Neuen Testament heraus – was übrig bleibt, sind Papierfetzen, die man nicht einmal mit viel Fantasie als ein zusammenhängendes Evangelium bezeichnen kann!« – »Überlass diese Papierfetzen den Christen, damit sie sich ein Evangelium daraus zusammenfantasieren!«, hatte Jakob wütend erwidert.
    Und genau das taten wir nun: Mit viel Fantasie schmückten wir das Bild von Jesus, dem Messias, dem Sohn Gottes, dem Erlöser der Welt, immer weiter aus. Wir gaben dem Gemälde einen sehr würdigen Blattgoldhintergrund und trugen die leuchtenden Farben der christlichen Erlösungstheologie mit feinem Pinsel so geschickt auf, dass Jesu Göttlichkeit förmlich durch die Falten seiner Kleidung schimmerte. Ein geheimnisvoller Schleier von Prophezeiungen umwehte ihn, wohin er auch ging, und eine Aura aus Licht hüllte ihn ein. Jedes seiner Worte war offenbarte göttliche Wahrheit.
    Der

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