Die Evangelistin
werden. Vergeblich!
Es tut mir sehr Leid, David. Ich werde mich dafür einsetzen, dass du als Medicus eine Genehmigung bekommst, dich bei Notfällen auch nachts außerhalb des Ghettos aufzuhalten. Und ich werde mich bemühen, eine angemessene Wohnung für dich zu finden … und auch für Jakob«, rang er sich die Worte aus dem Herzen. »David, dir bleiben drei Tage Zeit, deine Sachen zu packen und mit deiner Tochter ins Ghetto zu ziehen.«
»Und was sagt Celestina dazu?«, fragte Jakob bestürzt und legte einen Stapel Talmudbände in die Truhe – er packte für den Umzug ins Ghetto.
In seinem Arbeitszimmer herrschte ein heilloses Durcheinander. Viele lieb gewordene Dinge konnte Jakob nicht mitnehmen. Er musste sie verschenken – wie die meisten seiner Möbel, die sich vor dem Haus stapelten. Die Gojim würden sie schon wegschleppen.
»Es war ihr Vorschlag. Celestina will nicht, dass mein Bruder ohne uns im Ghetto leben muss«, erklärte ich ihm.
Ich gebe zu, ich war verunsichert: Sollte ich ihm nun beim Packen helfen oder nicht?
»David und ich haben die ganze Nacht darüber geredet. Wir wollen nicht mehr in Venedig bleiben, wenn wir nicht zusammen leben können. Judith ist tot. Esther wird Yehiel heiraten und mit ihm zusammenziehen. David ist dann ganz allein. Er hat nur noch uns. Er wird Celestina, Netanja und mich begleiten. Wir gehen fort. Unsere Taschen sind gepackt.«
»Wohin wollt ihr?«, fragte er fassungslos.
»Nach Jeruschalajim. Meine Familie hat sich zerstreut – meine Mutter ist in Granada gestorben, mein Vater während der Flucht in Portugal, Sarah und Benjamin in Córdoba, Judith in Venedig. Wohin Aron mit Marietta gegangen ist, wissen wir nicht. Wir werden unseren Bruder vielleicht niemals wiedersehen. David und ich haben beschlossen, dass wir nach Jeruschalajim gehen werden, bevor auch wir noch auseinandergerissen werden.«
»Ich werde dich also verlieren, Elija! Den einzigen Freund, den ich hier in Venedig hatte!«
»Du kannst mit uns kommen, Jakob.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin schon zu oft geflohen. Ich will Venedig nicht mehr verlassen. Trotz allem ist die Serenissima das Paradies. Glaubst du nicht, dass auch der Garten Eden hohe Mauern hatte, um die Menschen zu beschützen?«
Jakob fuhr sich über das Gesicht.
»Dieses Ghetto wird eine kleine geschlossene Welt für sich sein, Elija: eine jüdische Welt. Ein kleines Reich Israel – das, was wir Juden uns doch immer ersehnt haben: Die Hoffnung auf ein wenig Frieden … O Gott, sieh mich doch nicht so an, Elija!
Ein Judenviertel wie das Ghetto ist doch sinnvoll! Wir Rabbinen können die Gebote unseres Glaubens viel leichter durchsetzen und verhindern, dass nichtjüdische Lebensgewohnheiten in der Gemeinde eingeführt werden. Aron und du – ihr habt beide Ezras Gebot missachtet, als ihr euch Hals über Kopf in Christinnen verliebt habt. Und dann habt ihr eine Mizwa nach der anderen gebrochen! Das war doch unvermeidlich!«
Beschämt senkte ich den Blick. Jakob hatte ja Recht!
»Im Ghetto können wir Juden sein«, fuhr er fort. »Wir können jüdisch leben, jüdisch beten und jüdisch feiern, ohne fürchten zu müssen, dass eine von uns ermordet wird, weil sie am Karfreitag eine Schabbatkerze angezündet hat.«
Mein Freund legte mir die Hand auf die Schulter.
»Die Mauern um das Ghetto werden eine geistige Festung sein, Elija. Sie werden uns beschützen, wenn wir um den Fortbestand unserer Kultur, unseres Glaubens und unserer Identität kämpfen. Innerhalb dieser Mauern wird es nur das jüdische Gesetz geben. Aschkenasim und Sefardim werden trotz unterschiedlicher Riten und Sprachen zusammenfinden – daran glaube ich ganz fest! Du hast mich diesen Glauben doch gelehrt, Elija! Du hast immer an den Frieden geglaubt, hast unbeirrbar versucht, das Verlorene Paradies zu erschaffen.
Vielleicht war deine Vision ein bisschen zu großartig für diese Welt. Vielleicht können Christen und Juden wirklich nicht zusammen leben. Aber Aschkenasim und Sefardim können es. Selbstverständlich wird es schwierig, da mache ich mir nichts vor. Aber hast du nicht gesagt, dass der Weg ins Paradies immer erst durch die Hölle führt?
Im Ghetto will ich das Paradies, von dem du immer geträumt hast, verwirklichen – zusammen mit Yehiel und Esther, einem aschkenasischen Juden und einer sefardischen Jüdin! Ich werde das verlorene Paradies erschaffen, so schön und so friedlich, dass die Christen neidisch werden auf uns Juden – das bin ich
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