Die Evangelistin
zurück, den er ihr in Florenz geschenkt hatte.
»… immer an dich denken, mein Liebster!«, trug mir der Wind von der Lagune Celestinas Worte zu.
»… und ich an dich … niemals vergessen …« Dann küssten sie sich zum letzten Mal.
Tristan kniete sich neben den Korb, in dem Netanja lag und vor Vergnügen quietschte, als er ihn zärtlich liebkoste. Schließlich riss er sich von seinem Patenkind los und kam zu mir herüber, um Abschied zu nehmen. »Pass gut auf sie auf, Elija!«
»Das werde ich!«
»Wir werden uns wohl nie mehr wiedersehen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Könntet ihr mir aus Jerusalem schreiben, damit ich etwas habe, worauf ich in meinem Leben noch warten kann? Denn die Liebe habe ich für immer verloren! Und mit ihr die Hoffnung und die Sehnsucht!«
»Wir werden dir schreiben, Tristan! Und sollte Aron eines Tages zurückkehren, kannst du ihm unsere Briefe zeigen. Sag meinem Bruder: Unsere Gedanken sind bei ihm! David und ich hoffen so sehr, dass er endlich glücklich geworden ist.«
»Ich werde es ihm sagen.«
»Schalom, Tristan!«
»Schalom, Elija!«, flüsterte er, dann verabschiedete er sich von David und kletterte von Bord in die wartende Gondel.
Noch während er zum Molo hinübergerudert wurde, tauchten die Riemen der türkischen Galeere in die Wellen, und das große Schiff nahm Fahrt auf.
Celestina lehnte sich gegen mich, und ich schlang meine Arme um ihre Mitte und zog sie an mich, um gemeinsam mit ihr ein letztes Mal auf Venedig zu blicken:
Den Dogenpalast mit der staubigen Dachkammer, Celestinas ›Königreich der Himmel‹, ihrer Kathedrale des Wissens, wo wir uns vor fast einem Jahr lieben gelernt hatten. Die Basilika von San Marco, wo Celestina und ich vor zwei Monaten geheiratet hatten. Die Ca’ Tron, wo unser Sohn zur Welt gekommen war. Meinen Freund Jakob, der winkend am Molo stand. Und Tristan, den ich in den letzten Wochen sehr lieb gewonnen hatte.
Tausendundeine schöne Erinnerung!
Die Luft über der im Sonnenlicht glitzernden Lagune war kristallklar, sodass wir hinter den filigranen Marmorbögen des Dogenpalastes am Horizont die Alpen aufragen sahen. Hinter den Bergen lagen Chambéry und Paris, und im Westen, hinter dem Campanile von San Marco, lagen Córdoba und Granada.
Was hatte ich alles hinter mir gelassen!
Mit jedem Ruderschlag der Galeere wich Venedig weiter hinter uns zurück. Nachdem wir die östliche Landspitze nahe der Insel San Pietro erreicht hatten, steuerten wir in Richtung Nordosten zum Lido.
Schließlich wandte ich mich um und ging mit Celestina nach vorn zum Bug, um meinen Blick nach Südosten zu richten:
Nach Jeruschalajim.
Wenige Tage später, Ende April 1516, gingen wir nach einer ruhigen Überfahrt im Hafen von Athen an Land – die türkische Galeere ankerte zwei Tage lang in Piräus, um frische Lebensmittel und Wasser an Bord zu nehmen.
Athen lag in einer weiten Küstenebene, in deren Mitte der Felsen der Akropolis weithin sichtbar aufragte. Die antike Metropole war nur noch ein Dorf mit wenigen Häusern und Palästen zwischen grasüberwucherten Ruinen und umgestürzten Säulen. Einzig die Stadtmauer weit jenseits der blühenden Wiesen zeugte noch von der einstigen Größe Athens.
Philippos Iatros freute sich sehr, seine Nichte Celestina drei Jahre nach ihrem Exil in Athen wieder in die Arme zu schließen. Doch er war bestürzt, als er hörte, dass wir schon am übernächsten Tag wieder abreisen wollten. Onkel Philippos – so nannte ich Filippo de’ Medici im Scherz – nahm uns sehr herzlich in seinem Haus auf und kümmerte sich liebevoll um Netanja, während wir zwei Tage lang zwischen den antiken Ruinen herumkletterten und die steilen Stufen zur Akropolis hinaufstiegen. Die Zitadelle aus strahlend weißem Marmor beherrschte die Stadt, wie Athen in der Antike Griechenland dominiert hatte.
David, Celestina und ich besuchten den Parthenon, den Tempel der Göttin Athena Parthenos, der seit der türkischen Eroberung im Jahr 1458 eine Moschee war. Mit seinen dorischen Marmorsäulen war der zweitausend Jahre alte Tempel eines der schönsten Bauwerke, die ich jemals gesehen habe – vergleichbar mit der Alhambra von Granada, der Kathedrale Notre Dame de Paris, dem Pantheon in Rom oder dem Dogenpalast in Venedig.
Das Innere des Tempels war ebenso Ehrfurcht gebietend: Zweigeschossige dorische Säulenreihen stützten eine hohe Decke. Die legendenumwobene Statue der Göttin Athena, die ganz aus Elfenbein und Gold bestanden haben soll,
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