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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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erhalten hast.«
    Tristan wies auf Raffaellos Entwurf der Sappho und seine Nachricht: ›Du fragst dich, wohin Sappho blickt? Nach Rom! Komm doch endlich!‹
    »Nach der Vermählung mit dem Meer warst du stundenlang verschwunden. Ich habe dich gestern Abend vergeblich hier gesucht. Menandros wusste nicht, wo du warst. Und später bist du nicht zum Bankett im Dogenpalast erschienen. Ich habe mir Sorgen gemacht!
    Dann bist du plötzlich mitten in der Nacht in meinem Palazzo aufgetaucht und hast mir verkündet, du hättest dich entschieden, nun doch nach Rom zu gehen. Du bist gegangen, als ich schlief, und hast mir diese Zeilen hinterlassen: ›Nimm den Ring zurück, Tristan! Ich entbinde dich von allen Versprechen, die du mir gegeben hast. Du bist frei. Ich liebe dich.‹ Wolltest du denn nie mehr nach Venedig zurückkehren?«, fragte er traurig.
    Ich barg mein Gesicht in den Händen und schwieg.
    »Ich wollte mit dir reden, bevor du im Morgengrauen nach Rom aufbrichst. Ich weiß, dass ich nicht das Recht habe, dich aufzuhalten, aber ich wollte verstehen, warum du das tust. Und ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass du eines Tages zu mir zurückkehren würdest. Nach allem, was zwischen uns geschehen ist. Ich wollte dir sagen, dass ich dich liebe und dass ich auf dich warten werde, gleichgültig, wie lange es dauert.«
    Ich war unfähig, ein Wort zu sagen.
    Was denn auch? Ich hatte ebenso viel Angst vor seiner Frage wie er vor meiner Antwort, die »Nein!« lauten würde.
    »Bevor ich im Morgengrauen aufbrechen konnte, erschien ein Bote des Signor di Notte vom Sestiere di San Marco und teilte mir als Consigliere dei Dieci mit, dass es in der Nacht in der Nähe des Campo San Angelo einen Kampf gegeben hatte. Fünf Tote! Sofort bin ich losgeritten. Um Himmels willen, Celestina, was ist denn bloß geschehen?«
    »Die Assassini sollten mich töten. Menandros und ich haben heute Nacht um unser Leben gekämpft.«
    »Großer Gott!«, flüsterte er entsetzt. »Menandros und du, ihr habt euch allein gegen fünf Attentäter gewehrt?«
    Ich musste Elija aus allem heraushalten! Eine Vernehmung vor dem Consiglio dei Dieci würde für ihn, den Juden, mehr als nur eine Unannehmlichkeit bedeuten. Er war bewaffnet gewesen. Zwei Attentäter hatte er getötet. Er hatte gegen das Gesetz verstoßen, als er die Nacht in meinem Haus verbrachte. Er hatte Dinge getan, die ihn und seine Glaubensbrüder die vom Consiglio dei Dieci erteilte Aufenthaltsgenehmigung in Venedig kosten konnten. Erst vor einigen Wochen war im Zehnerrat darüber diskutiert worden, die Juden auf die Insel Murano abzuschieben. Ich war Elija dankbar, dass er mir das Leben gerettet hatte, und war es ihm schuldig, ihn zu schützen.
    »Menandros und ich waren allein. Einer der Männer war ein Florentiner«, warf ich ein, bevor Tristan mir die Frage stellte, die ich nicht beantworten wollte.
    »Glaubst du, dass Giovanni Montefiore die Männer geschickt hat, um dich umzubringen?«
    Ich nickte. »Er hasst mich. Mit meinem vernichtenden Urteil über sein Evangelium habe ich seinen Ruf zerstört.«
    »Ihr Humanisten lebt gefährlich. Die ständige Bedrohung durch die Exkommunikation wegen Häresie und nun das Attentat … Celestina, warum riskierst du jeden Tag dein Leben und dein Seelenheil?«
    »Weil ich mich so entschieden habe. Weil ich nicht anders leben will. Wir werden geliebt und gehasst, in den Himmel gelobt und zur Hölle verdammt, von den Fürsten mit dem Exil und von der Kirche mit der Exkommunikation und dem Scheiterhaufen bedroht. Humanist sein ist eine Art zu leben. Es ist mein Glaube. Versuch nicht, mich zu bekehren. Liebe mich, wie ich bin, und versuche nicht, mich zu ändern. Nimm mir nicht meine Freiheit!«
    Tristan schwieg betroffen.
    Wie verzweifelt er mich ansah, wie traurig, wie hoffnungslos!
    Ich umarmte und küsste ihn. »Ich werde nicht nach Rom gehen, mein Liebster. Du wirst mich nicht verlieren.«
    Da nahm er meine Hand und schob den Ring zurück auf meinen Finger.

    Nachdem Tristan gegangen war – er wollte zum Dogenpalast, um Leonardo Loredan über das Attentat zu berichten –, blätterte ich in Ibn Shapruts Prüfstein und fragte mich zutiefst enttäuscht, ob Geheimnisse das Fundament einer Liebe sein konnten, die zwei Jahre lang auf gegenseitigem Vertrauen beruht hatte.
    Tristan hatte mir nicht erzählt, dass er zum Vorsitzenden des Zehnerrats gewählt worden war oder worüber er sich mit Leonardo unterhalten hatte. Auch den Brief mit den

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