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Die Evangelistin

Die Evangelistin

Titel: Die Evangelistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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diesem Raum berührt?
    Der Deckel der vierten Bücherkiste war geschlossen! Ich hatte die Truhe offen gelassen, weil ich nach meiner Rückkehr von Tristan mein Manuskript dort hineinlegen wollte.
    Ich hob den Deckel an. Giovanni Picos Conclusiones . Marsilio Ficinos Theologia Platonica . In diesen Büchern hatte er geblättert. Dann hatte er sie in die Truhe zurückgelegt und den Deckel geschlossen: Er wollte vertuschen, dass er sich die verbotenen Werke angesehen hatte!
    Ich ließ den Truhendeckel fallen und sah mich im Raum um.
    Einige Bücher standen anders als zuvor. Menandros hielt die Bibliothek in so gewissenhafter Ordnung, dass ich jeden Folianten mit verbundenen Augen finden konnte. Die griechischen Evangelien hatte Elija sich angesehen. Hatte er gelächelt, als er sie zwischen den Werken der antiken Philosophen fand?
    Ich ließ mich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch sinken.
    Die Seiten meines Manuskriptes lagen nicht mehr so, wie ich sie hinterlassen hatte. Das letzte Blatt hatte offen auf dem Schreibtisch gelegen – kurz vor meinem Aufbruch zu Tristan hatte ich noch eine Notiz auf das Papier geworfen.
    Elija hatte das Manuskript gelesen.
    Ich blätterte durch die Seiten. Er hatte das unvollendete Werk bis zu Ende gelesen und war tief in meine Gedanken eingedrungen, tiefer als jeder andere zuvor – mit einer Ausnahme: Menandros. Denn weder Tristan noch Baldassare oder der Papst kannten bisher das ganze Manuskript, das Gianni als ›Credo der Humanitas‹ bezeichnet hatte.
    Was immer Elija empfunden hatte, als er diese Seiten las, die seinem jüdischen Glauben widersprachen – er war nicht deshalb geflohen. Denn er hatte das Manuskript innerhalb weniger Stunden bis zur letzten Seite gelesen, ohne es aus der Hand zu legen. Dann war er gegangen. Aber wieso?
    Warum war er im Morgengrauen aufgebrochen, während ich noch schlief, ohne wenigstens ein paar Zeilen zu hinterlassen, wo ich ihn finden konnte? Ich wusste weder, wo er wohnte, noch, ob ich ihn jemals wiedersehen würde. Nur seinen Namen kannte ich, seinen wunderschönen Namen, der so gut zu diesem stillen, selbstmächtigen Menschen passte: Elija. Der Name bedeutet ›Mein Gott ist Jahwe‹.
    Enttäuscht warf ich die Manuskriptseiten auf den Schreibtisch.
    Dann erst bemerkte ich das Buch.
    Es war alt – hundert Jahre oder älter. Ein abgegriffener Ledereinband, unregelmäßig geschnittene Seiten. Ich zog es heran, um den Titel zu lesen:

    Ich starrte auf die hebräischen Buchstaben: Eben Bohan – aber was bedeuteten sie? Ich humpelte zum Regal und schleppte das Griechisch-Hebräische Wörterbuch zum Schreibtisch.
    Eben Bohan heißt: Der Prüfstein.
    Dann schlug ich den Folianten auf, las den Namen des Autors: Rabbi Shemtov ben Isaak Ibn Shaprut de Tudela. Tudela, offenbar sein Geburtsort, war eine Stadt im Königreich Navarra. Unten auf der Seite las ich: Tarazona, 5140. Tarazona war eine Stadt in Aragón, und 5140 war das Jahr der Niederschrift nach jüdischer Zeitrechnung: 1380.
    Der Prüfstein. Welch ein seltsamer Titel!
    Ein Prüfstein – wofür?
    Ich kehrte zurück zum Regal, zog die griechische Bibel hervor und schlug nach in den Prophetenbüchern. Ja, da war es! Jesaja Kapitel 28, Vers 15: ›Denn ihr sagt: Wir haben einen Bund mit dem Tod geschlossen und mit der Hölle einen Vertrag gemacht. Wenn die Geißel niederfährt, wird sie uns nicht erreichen, denn wir haben Zuflucht zur Lüge genommen und uns hinter der Täuschung versteckt.‹ Dann: Vers 16! ›Darum spricht Gott, der Herr: Seht her, ich lege in Zion einen Grundstein, einen Prüfstein, felsenfest gegründet. Wer glaubt, braucht nicht ängstlich zu fliehen.‹
    Ein Prüfstein gegen Lüge und Täuschung und in den Zeiten der Verfolgung ein sicheres Fundament des jüdischen Glaubens!
    Aber warum hatte Elija das Buch mitten in der Nacht …
    »Celestina, wieso bist du nicht im Bett?«
    Erschrocken fuhr ich herum: Menandros stand in der Tür.
    »Tristan ist gekommen. Er will dich sehen.«
    Ich klappte das Buch zu, legte die aufgeschlagene Bibel darauf und nickte.
    Menandros wich zur Seite und ließ Tristan eintreten. Dann schloss er leise die Tür hinter sich.
    In der Hand hielt Tristan den Ring und das gerollte Papier mit meinen letzten Zeilen. »Bitte erkläre mir, was hier vorgeht. Ich verstehe es nicht. Gestern kommt dein Freund Baldassare Castiglione nach Venedig und bringt dir eine Einladung des Papstes nach Rom – und es war nicht die erste, die du von Giovanni de’ Medici

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