Die Evangelistin
bringen?«
»Ich nahm an, es wäre ihm wichtig.«
»Das ist es.«
»Ich würde es ihm gern zurückgeben, wenn Ihr mir sagt, wo ich Elija … wo ich Euren Bruder finden kann.«
»Nein.« Er ergriff die Zügel meines Pferdes.
»Wie bitte?«
»Ich sagte: Nein. Bevor Ihr auch nur einen Schritt in Richtung der Synagoge macht, sehe ich mir Euer Bein an! Es scheint geschwollen zu sein, und Ihr habt ganz offensichtlich Schmerzen, selbst wenn Ihr damit nicht auftretet.«
Er half mir aus dem Sattel und nahm mich in die Arme, bevor meine Füße den Boden berührten. Als er mich an der Mesusa vorbeitrug, neigte er wie im Gebet den Kopf.
Die Mesusa ist ein kleines Kästchen mit einem Pergamentstreifen, das am rechten Türpfosten jüdischer Häuser befestigt ist und beim Betreten und Verlassen berührt oder geküsst wird. Das darin eingefaltete Pergament enthält das Schma Israel: ›Höre Israel: Adonai ist unser Gott, Adonai unser Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.‹ Die Mesusa an der Haustür und die anderen Mesusot an den Türen der Wohnräume mahnen: Heilige dein Haus, und lass es dein Tempel sein!
Im Erdgeschoss, gleich neben der Eingangstür, befand sich der Behandlungsraum des Medicus. Auf einem großen Tisch lag auf einem Tuch das chirurgische Instrumentarium: Skalpelle, Messer, Haken, Scheren und Zangen, alles peinlich sauber.
Auf Regalen entlang der Wände sah ich etliche Gefäße mit Medikamenten und Bücher von Roger Bacon und Albertus Magnus, Abu Ali Ibn Sinas al-Kanun fi at-tibb , das arabische Original seines Canon Medicinae , und etliche andere arabische Werke.
David Ibn Daud setzte mich auf einen Stuhl, dann kniete er sich vor mich hin, legte mein verletztes Bein auf sein Knie und zog mir vorsichtig den Schuh aus.
»Ihr hättet ein paar Tage im Bett bleiben und das Bein ruhig halten sollen, statt es zu belasten«, mahnte er, als er den schmerzenden Fuß untersuchte. »Ich werde es fest bandagieren und Euch ein Mittel gegen die Schmerzen geben.«
»Ich danke Euch, Señor Ibn Daud.«
»Ich heiße David«, sagte er, ohne mich anzusehen. Als ich nicht antwortete, blickte er auf. Seine Augen funkelten. »Meinen Bruder nennt Ihr doch auch sehr vertraulich bei seinem Namen.«
»Bitte verzeiht!«, murmelte ich verlegen.
»Schon gut«, entgegnete er. »Offensichtlich habt Ihr ihn gern. Wenn er Euch gleichgültig wäre, hättet Ihr ihm sein Buch nicht selbst gebracht, sondern einen Boten geschickt. Und da wir schon beim Vornamen sind: Darf ich Euch Celestina nennen? Elija nennt Euch nämlich so.«
»So, tut er das?«, fragte ich erstaunt.
»Mhm«, nickte David, während er den geschwollenen Fuß so dick bandagierte, dass ich keinen Schuh mehr tragen konnte.
Wollte er verhindern, dass ich in die Synagoge ging?
»Das tut Ihr doch aus reiner Bosheit, nicht wahr?«, scherzte ich und deutete auf den Verband, mit dem ich im besten Fall nur sehr langsam und nicht allzu weit gehen konnte.
»Aber gewiss«, neckte er mich. »Nur aus Bosheit und um Euch nach Herzenslust zu quälen, habe ich Medizin studiert.«
Dann reichte er mir einen Becher mit einem Schmerzmittel, den ich in einem Zug leerte.
»Und nun bringe ich Euch zu Elija.« Bevor ich aufstehen konnte, hob er mich hoch.
Ich schlang meine Arme um seine Schultern und hielt mich an ihm fest, während er mich aus dem Haus trug – jedoch nicht zu meinem auf dem Campo San Luca grasenden Pferd, wie ich zuerst annahm, sondern um das Haus herum und ein paar Schritte durch die schmale Gasse bis zu einer schlichten Tür.
Mit der Schulter schob er sie auf und stieg zwei steile Treppen mit mir empor.
»Nachdem wir nun geklärt haben, warum ich tue, was ich tue, sagt mir, David: Warum tut Ihr es?«, fragte ich.
»Warum tue ich was ?«, fragte er, während er mich die Stufen emportrug.
»Warum bringt Ihr mich zu ihm?«
»Aus demselben Grund: Weil ich ihn liebe …«
Ich wollte schon protestieren – Wie kam David auf die absurde Idee, ich könnte Elija lieben? –, doch er redete einfach weiter:
»… und weil ich glaube, dass Ihr ihm gut tut. Ihr könnt ihn wieder lebendig machen.«
Bevor ich ihn fragen konnte, was er damit meinte, hatten wir das Ende der Treppe erreicht, und David stellte mich vorsichtig auf den Boden, um das Portal zu öffnen.
»Wo sind wir?«
»Dies ist die Synagoge, wo Elija an den Freitagnachmittagen die Humanisten im Talmud und
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