Die Evangelistin
hatte, das das Ende unserer Liebe und Tristans Karriere bedeutet hätte.
Nachdem er mich so fürsorglich die Treppen hinaufgetragen hatte, setzte sich mein Geliebter auf den Rand des Bettes und küsste mich zart:
»Falls wir einen Sohn bekommen, will ich, dass er Adrian heißt. Oder gefällt dir der Name Alessandro besser? Du schwärmst doch immer von Alexander dem Großen. Alessandro Venier klingt majestätisch«, hatte er gesagt. »Und wenn wir eine Tochter haben …«
»Tristan, du bist verrückt! Ich bin nicht schwanger!«
»Was nicht ist, kann ja noch werden«, hatte er mich geneckt. »Ich jedenfalls werde mir jede Mühe geben.« Dann war er ernst geworden. »Der Gedanke, du könntest schwanger sein und wir könnten Kinder haben, hat mich sehr berührt. Nie zuvor habe ich darüber nachgedacht … Celestina, ich will dich öfter sehen. Meine Nächte ohne dich sind so einsam. Ich ertrage das nicht! Ich liebe dich!«
»Und ich liebe dich, Tristan!« Das hatte ich ihm mit einem leidenschaftlichen Kuss bewiesen.
»Ich kann heute Nacht nicht kommen. Am Nachmittag muss ich noch geheime Akten für einen Prozess durcharbeiten, in dem ich den Vorsitz führe. Es geht um einen spanischen Converso, einen getauften Juden, der unter seinem alten jüdisch-arabischen Namen Ibn Ezra über Alexandria und Istanbul nach Venedig gekommen ist. Er glaubt, hier könnte er wieder Jude sein und das heilige Sakrament der Taufe missachten. Diese Juden sind wirklich unbekehrbar!
Heute Nacht findet eine lange Sitzung des Consiglio dei Dieci im Dogenpalast statt, die gewiss nicht vor dem Morgengrauen enden wird. Noch ein paar Prozesse gegen diese eigensinnigen Juden, und wir haben die römische Inquisition in Venedig!«, hatte er geseufzt. »Bitte entschuldige, wenn ich dich mit meinen Sorgen belaste, Celestina. Aber mit niemandem außer dir kann ich darüber reden.«
Zum Abschied hatte er mich zart liebkost:
»Morgen Abend werde ich zu dir kommen, und ich verspreche dir: Ich werde bis zum Morgengrauen bleiben! Ich will dich die ganze Nacht im Arm halten und am Morgen neben dir aufwachen, mein Schatz!«
Nachdem Tristan gegangen war, hatte ich mich in meine Bibliothek geflüchtet.
Ich durfte Elija nicht wiedersehen! Es war lebensgefährlich für ihn und für mich! Wenn der Consiglio dei Dieci herausfand, dass er ein Converso war, der ganz offen als Jude lebte, würde auch er – und seine ganze Familie – angeklagt werden. Die Dieci würden mithilfe der Folter herausfinden, dass ich am jüdischen Gottesdienst teilgenommen hatte, dass ich in seinem Haus am Sabbat Brot, Wein und Salz mit ihm geteilt hatte, dass ich nicht nur gegen eines, sondern gegen jede Bestimmung des vierten Laterankonzils verstoßen hatte.
Mein Haus würde durchsucht, man würde die verbotenen Bücher finden und mich vor Gericht zerren. Auch Tristan würde in den Prozess hineingezogen werden, weil er gewusst hatte, woran ich arbeitete. Und auch der Doge hatte all die Jahre Kenntnis davon gehabt – schließlich war es Leonardo gewesen, der mir den Schlüssel zum ›Königreich der Himmel‹ gegeben hatte. Und Gianni … selbst der Papst war eingeweiht.
Nein, ich durfte Elija nicht wiedersehen.
Ich griff zur Feder und starrte auf die vielen zerrissenen Papierfetzen mit den nicht zu Ende gedachten Gedanken rund um meinen Schreibtisch. Die Tinte tropfte auf das Papier, ohne dass ich auch nur ein Wort schrieb.
Wieder und wieder las ich den letzten Satz, den ich ersonnen hatte, bevor Elija am Vortag so unerwartet erschienen war:
›Der furchtbarste Augenblick im Leben des Menschen ist nicht der, in dem er erkennt, dass, obwohl er sein Leben lang mit aller Kraft gekämpft hat, seine Hoffnungen sich nicht erfüllen werden, sondern der, in dem er sich bewusst wird, dass er keine Hoffnungen mehr hat, keine Wünsche, keine Träume, keine Visionen … nichts, wofür es sich zu leben lohnt.‹
Dann fügte ich, noch ganz in Gedanken versunken, ein paar Worte hinzu, die mich selbst zutiefst erschreckten:
›… und nichts, wofür es sich zu sterben lohnt.‹
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich das Geschriebene anstarrte, unfähig, das Blatt zu zerreißen und zu den anderen zu werfen.
»Celestina?«
Ich kann mich auch nicht erinnern, welche Gedanken mich erfüllten, als ich diese furchtbaren Worte niederschrieb.
»Celestina!« Menandros stand in der offenen Tür der Bibliothek. »Elija ist gekommen.«
Ich schloss die Augen und stöhnte verzweifelt.
Als ich wieder
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