Die Evangelistin
Ducale lernte ich den Humanisten Baldassare Castiglione und den Maler Raffaello Santi kennen, der nun in Rom die Kathedrale von San Pietro erbaut. Mit ihnen bin ich befreundet. Baldassare kam vor ein paar Tagen zur Vermählung mit dem Meer, um mich zu sehen. Die zwei Jahre in Urbino waren wunderschön. Im September 1504 ging Raffaello nach Florenz, um sich mit Leonardo da Vinci und Michelangelo zu messen, aber als er Monate später für einige Wochen zurückkehrte, hat er mich gezeichnet. Als Modell für eines seiner Madonnenbilder.
Eines Nachts habe ich mich heimlich aus dem Palazzo geschlichen und bin zu Raffaello gegangen, damit er mich zeichnete.« Ich seufzte verzückt:
»Wie er mich angesehen hat, als ich nackt auf dem Bett in seinem Schlafzimmer saß! Wie zart er mich berührt hat, um meinen Kopf, meine Haare, meine Arme, meine Beine in die richtige Position zu bringen, damit er mich zeichnen konnte.
Ich war noch von keinem Menschen so berührt worden wie von ihm. Er hatte mich zum Glühen gebracht. Er hatte mich gestreichelt, mit seinen Händen und seinen Haaren, hatte mich geküsst, auf die Brüste, auf die Lippen, hatte mich erregt, aber ich durfte mich nicht bewegen, durfte ihn nicht streicheln und nicht küssen. Ich durfte ihn nicht einmal ansehen, als er diese wundervollen Dinge mit mir tat.
O Gott, was hätte ich darum gegeben, wenn er mich in jener Nacht geliebt hätte! Angefleht habe ich ihn, doch er hat nur den Kopf geschüttelt. ›Nein, Celestina, das werde ich nicht tun.‹ – ›Warum denn nicht?‹, habe ich ihn gefragt. – ›Weil sich der Ausdruck in deinen Augen ändert, wenn ich mit dir schlafe. Die Liebe will ich malen, die glühende Liebe, das Leuchten in deinen Augen. Wenn ich nur Schönheit malen wollte, könnte ich mir ein Mädchen von der Straße holen, meine Lust an ihr stillen und sie dann malen. Aber das ist nicht dasselbe wie mit dir.‹
Dann hat er sich neben mich auf das Bett gelegt und mich mit dem Rötelstift gezeichnet. Ich bin fast vergangen vor Begehren. Am Ende hat er mich dann erlöst. Mit der Hand. Raffaello hat begnadete Hände. Er ist ein Maestro in der Kunst des Liebens.«
Ich besann mich: »Raffaello war der erste Mann in meinem Leben. Wir haben miteinander geschlafen und haben es doch nicht getan. Es war … einzigartig.«
»Hast du ihn geliebt?«
»Ich habe ihn begehrt«, gestand ich. »Ich war sechzehn, er dreiundzwanzig! Raffaello ist ein attraktiver Mann – anmutig und immer höchst elegant gekleidet. Ein Märchenprinz! In Rom liegen ihm die Frauen zu Füßen. Das macht unsere Beziehung so einzigartig. Ich bin keine seiner unzähligen Affären.«
Elijas Blick tanzte über mein Gesicht.
Ich ließ mich in die Kissen sinken und küsste ihn. »Bist du schockiert, Rabbi?«
»Nein, ich bin nicht schockiert. ›Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein‹, hat Jeschua gesagt, als die Menge die Ehebrecherin steinigen wollte. Ich habe kein Recht, dich zu steinigen, da ich doch selbst gesündigt habe.«
»Elija ha-Chasid hat gesündigt?«, fragte ich ungläubig. »Was, um Himmels willen, hast du denn getan? Hast du bei der Buße an Jom Kippur eine lässliche Sünde vergessen?«
Er schüttelte den Kopf. »In Paris habe ich mit der Frau meines Bruders geschlafen.«
»Mit Judith?« Und als Elija nickte, fragte ich: »Weiß David davon?«
»Nein, er hat keine Ahnung. Aber Aron lag wach neben uns im Bett. Er weiß, was wir getan haben. Ich bete zu Gott, dass Aron es niemals David erzählt. Das würde mein Bruder mir nie vergeben.«
»Ihr steht euch sehr nah.«
»Ja.«
»Ich wünschte, ich hätte auch einen Bruder wie David. Aber ich blieb das einzige Kind meiner Eltern. Als ich nach Venedig zurückgekehrt war, fand ich dann so etwas wie einen Bruder.«
»Deinen Tristan?«
Ich schüttelte den Kopf. »Meinen Gianni.«
»Du meinst den Papst?«, fragte Elija verblüfft.
»Damals war Gianni noch nicht Papst, sondern Kardinal. Mit seinem Cousin Giulio, dem jetzigen Erzbischof von Florenz, war er ein paar Tage Gast meines Vaters. Obwohl Gianni fünfzehn Jahre älter ist als ich, haben wir uns von Anfang an gut verstanden. Nächtelang haben wir uns über Theologie und Philosophie unterhalten, und ich habe ihm erzählt, dass ich Humanistin werden will.«
»Was hat er dazu gesagt?«
»›Und ich will Papst werden.‹«
» Das hat er gesagt?«
»Gianni und ich sind immer ehrlich zueinander gewesen. Er vertraut mir die Geheimnisse seines Herzens an, seine
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