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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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die Lampe am Fenster, während Galen den Rest des Manuskripts auf dem Schreibtisch wieder einwickelte und in Sicherheit brachte.
    Michael murmelte vor sich hin, während er die Tischplatte abwischte, eine Mischung aus auf sich selbst gerichteter Wut und Schlaflosigkeit. »Die Ur-Edda… das älteste Edda-Schriftstück, das je gefunden wurde… und ich kippe Alkohol darüber… Idiot, Idiot, Idiot…«
    Galen stellte sich neben Juda und sah ihn seltsam an – der Mathematiker unternahm keinen Versuch, das Pergament abzutrocknen, sondern hielt es stattdessen in die Nähe des breiten Lampenschirms und begutachtete es eingehend.
    »Was ist los, Juda? Wonach suchen Sie?«
    Juda winkte ihn näher heran. »Sagen Sie mir, Musiker – was sehen Sie? Ist das eine neue Wirklichkeit, oder nur der Schatten einer Illusion?«
    Galen trat vor und beugte sich näher heran. Er griff vorsichtig nach dem zerbrechlichen Bogen und sah sich die Stelle an, auf die Juda deutete…
    Da war etwas. »Nun «, meinte er mit dem ihm eigenen grübelnden Brummen, »ich sehe, was Sie sehen, aber ich kann es nicht entziffern. Michael?«
    »Was? Ist es in Ordnung? Wir sollten es wirklich sofort in ein Reinigungsbad legen…«
    »Vergessen Sie das. Kommen Sie, schauen Sie sich das an.«
    Michael ließ die Lappen auf den Tisch fallen und eilte zu den beiden Männern hinüber, die beide seltsam dreinblickten. Galen und Juda deuteten gleichzeitig auf die Stelle, wo die Flüssigkeit das Pergament befleckt hatte, und traten zurück. Michael warf einen Blick darauf, holte dann tief Luft, zog die Stirn in Falten und schaute genauer hin.
    Er nahm ihnen das Blatt aus den Händen, schritt aus dem Raum und kehrte mit einer Juwelierlupe zurück, die in seinem rechten Auge klemmte. Er schaltete noch mehr Lampen ein, legte das Blatt auf den Tisch und machte sich daran, die Seite Zentimeter für Zentimeter abzusuchen.
    Nach fünf Minuten machte Galen Anstalten, etwas zu sagen, aber Judas Hand auf seiner Schulter und ein unauffälliges Kopfschütteln gaben ihm zu verstehen, dass sie Langbein nicht stören sollten. Was immer es war, das sie gesehen hatten, es hatte den Professor auf der Stelle vollkommen nüchtern werden lassen und nötigte ihm eine Aufmerksamkeit ab, die exakt war wie ein Laserstrahl.
    Zehn Minuten vergingen, dann fünfzehn. Juda und Galen saßen gemeinsam auf dem Sofa, nicht willens zu gehen und ebenso wenig gewillt, Michaels Untersuchung zu unterbrechen. Nach zwanzig Minuten wollte Galen erneut etwas sagen, doch da richtete Michael sich auf. Er murmelte etwas, blickte sich um, sah die Absinthflasche und goss den Rest ihres Inhalts auf das Pergament.
    Galens Finger verkrampften sich und er warf Juda einen erschrockenen Blick zu. »Sagen Sie mir, dass es nicht wahr ist. Sagen Sie mir, dass er gerade kein unersetzliches Schriftstück zerstört hat.«
    »Er hat gerade kein unersetzliches Schriftstück zerstört.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Juda zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Sie haben mich doch gerade gebeten, Ihnen das zu sagen.«
    »Ich habe gerade kein unersetzliches Schriftstück zerstört«, sagte Michael. »Wir haben etwas Außergewöhnliches entdeckt. Absolut außergewöhnlich.«
    »Sehen Sie, hier«, fuhr Michael aufgeregt fort, als sich die anderen um ihn drängten und niederknieten. »Der Absinth hat wie ein Waschmittel gewirkt. Er hat weder die Druckbuchstaben zerstört, noch die Anmerkungen beschädigt, sondern das Blatt halb durchsichtig werden lassen.«
    »Was haben wir also gesehen?«, fragte Galen. »Diese feine Schraffierung überall auf dem Blatt?«
    »Es handelt sich um ein Palimpsest – andere Texte wurden auf diese Oberfläche geschrieben und später wieder entfernt. Normalerweise benutzen wir eine Speziallösung, um sie hervorzubringen, ohne das Papier zu beschädigen. Aber in diesem Fall hatte der Giftgehalt des Absinth den selben Effekt.«
    »Wie gut, dass Sie kein Scotchtrinker sind«, sagte Juda.
    »Aber diese Schrift«, sagte Galen drängend. »Worum handelt es sich?«
    »Runen – alte Runen. Aus dem Stegreif würde ich schätzen, dass sie vermutlich einige hundert Jahre älter sind als die isländischen Runen der Edda-Schrift, die darüber gedruckt wurden. Aber das ist noch nicht das Erstaunlichste.«
    Er hielt inne, vielleicht eher aufgrund seiner eigenen Ungläubigkeit, als um der Dramatik willen. »Ich werde das an der Universität überprüfen müssen«, sagte er mit versagender Stimme. »Aber die

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