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Die ewige Bibliothek

Die ewige Bibliothek

Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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oder auch nur die Existenz Merus zu verraten.«
    »Na ja, sind Sie nicht gerade dabei, das zu vermasseln?«, fragte Michael.
    »An sich schon«, sagte Juda, »wäre Meru nicht am Tag unserer Abreise zu Asche verbrannt und würde es noch lebende Ankoriten geben, denen gegenüber ich mein Versprechen brechen könnte.«
    »O Gott«, hauchte Michael. »Was ist passiert?«
    »Die unsichtbare Jüngerin, eine ehemalige keltische Priesterin, die von den anderen Z genannt wurde, widersprach dem Plan, uns freizulassen. Sie glaubte, wir sollten wie die anderen Jünger unser Leben im Dienste von Meru verbringen, was jedoch für die meisten der anderen, und besonders für A zu unorthodox war, um es hinzunehmen. Was uns anging – ich war dort nicht unglücklich, aber ich hatte noch andere Arbeiten, die ich aufnehmen wollte und denen ich im Inneren eines Berges nicht nachgehen konnte. Und H – also ich glaube, er war hauptsächlich an Cheeseburgern mit Pommes frites interessiert.«
    »Wie brach das Feuer aus?«
    »Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Ich weiß nur, dass A und Z eine Auseinandersetzung hatten, die in Flammen endete – die Bibliothekstüren, die normalerweise versiegelt waren, standen offen, und ein Schwall Öl lief an den Stapeln hinab und setzte die Bücher in Brand. H stürzte sich in die Feuersbrunst, aber es gab nichts, was er hätte tun können. Einer der Us und H waren schon den Flammen zum Opfer gefallen und der Rauch breitete sich rasch in den Gängen aus. Ich flüchtete – aber vorher fasste ich noch in das Bücherregal, das der Tür am nächsten stand und in dem die neuesten Bände aufbewahrt wurden, und griff blindlings zu. Ich kam mit einem angesengten Arm, ausgetrockneter Lunge, diesem Manuskript und meinem Leben davon. Der Gang, aus dem ich heraustrat, endete an einem shapje in der Nähe eines Klosters an den Westhängen des Berges. Von H oder den Ankoriten war keine Spur zu entdecken, aber die Pilger und Mönche hatten sich, wie ich sehen konnte, entweder zu Boden geworfen oder flohen in panischer Angst. Rauchschwaden stiegen an hunderten von Stellen überall aus dem Berg auf, und plötzlich erschien auch noch ein Mann aus einem Fußabdruck Buddhas. Diese Folge von Omen war so günstig für mich, dass ich um Essen, Unterkunft und Transport nach Neu Delhi bitten konnte – und gewährt bekam. Ich kehrte nach England zurück und bewarb mich auf mehrere Dozentenstellen. Schließlich nahm ich diese hier in Wien an. Und das ist, wie man so sagt, das Ende der Geschichte – für den Augenblick.«
    Es war kaum möglich, einen endgültigeren Schlusspunkt zu setzen. Alle Drei schwiegen einen Moment lang, dann meldete sich Galen zu Wort. »Der Reim«, sagte er, und wies mit dem Kinn in Judas Richtung. »Wie lautete er?«
    »Was?«
    »Der Kinderreim – der aus dem eine Million Jahre alten Buch. Wie lautete er?«
    Judas Augen verengten sich – machte sich Galen über ihn lustig? Nein, entschied der Mathematiker – die Frage war nicht aus Zweifel oder Boshaftigkeit gestellt worden. Galen setzte das Puzzle zusammen, er sah ein Muster in dem Chaos, und das war genau das, worauf Juda gehofft hatte – genau das, was nötig war.
    »Der Reim war in einer Sprache verfasst, die sogar noch um einiges älter war als alle, die G kannte. Aber Vergleiche mit anderen Bänden ergaben eine gute Annäherung an das, was er ausdrücken sollte. Ich kann es Ihnen nicht visuell darstellen, aber ich kann Ihnen eine phonetische Erinnerung wiedergeben. Wenn ich mich recht entsinne, lautete er ungefähr so: Tigall, tigall …«
    Michael schüttelte den Kopf. »Weiß der Teufel. Erkennen Sie das Metrum, Galen?«
    Das tat er – der Musiker auf dem Stuhl neben ihm war weiß geworden. »Mein Gott«, sagte er langsam. »Mein Gott – es ist ein Kinderreim.«
    »Welcher?«, fragte Michael. »Ich fürchte, ich bin mit meinen Kinderreimen nicht ganz auf dem neuesten Stand.«
    Galen blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit der Nacht und begann mit zitternder Stimme zu rezitieren: »Twinkle, twinkle…«
    »Das ist er«, sagte Juda.
    »O Scheiße«, sagte Michael.
     

     
    Michael stellte sein Glas Absinth auf dem niedrigen Tisch ab, ließ sich von seinem Sessel auf den Boden gleiten, und blieb mit aufgestützten Armen liegen. »Offen gesagt, weiß ich nicht recht, was ich davon halten soll«, sagte er hilflos. »Ich dachte, ich wäre auf so ziemlich alles gefasst. Aber eine Geschichte wie die, die Sie uns gerade aufgetischt haben,

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