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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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worden, und sobald sich die Türen einmal geöffnet haben, würden die Besitzer niemals das Gegenteil zugeben. Die bevorzugte Ausstattung ist vom Alter gezeichnet, aber gemütlich, die bevorzugte Kundschaft gebildet. Während der Blüte der Wiener Kaffeehauskultur Ende des 19. Jahrhunderts hielten sich die Schriftsteller, Künstler und Dichter Wiens und manchmal ganz Europas in den Kaffeestuben auf, wenn sie ihre schlecht beheizten Wohnungen satt hatten – aus dem selben Grund kam vermutlich auch Kafka aus Prag in diese Stadt. Hier schrieben, malten und besangen sie sich selbst, bis in die frühen Morgenstunden hinein. Trotzkij und Lenin spielten in Kaffeehäusern Schach, und Freud – nun, der spielte ein ganz anderes Spiel.
    Michael und Galen, die am Dienstag Morgen im Cafe Central saßen,waren nicht damit beschäftigt, zu schreiben, zu zeichnen, Gedichte zu verfassen, über gescheiterte Revolutionen zu klagen oder begierig auf die Zigarren anderer Leute zu blicken, sondern übertrafen einander in einem Marathon, so viel Koffein zu konsumieren, wie eben gerade menschenmöglich war, ohne dass ihnen die Köpfe platzten.
    Galen saß zusammengesunken auf seinem Stuhl und warf Michael hin und wieder einen finsteren Blick zu. Dieser bemühte sich redlich, eine fröhliche Fassade aufrecht zu erhalten, obwohl sich sein Gesicht anfühlte, als sei es aus Granit gemeißelt. Sie saßen schon beinahe eine Stunde in dem Cafe und waren bei ihrer fünften Tasse angelangt, bevor einer von ihnen etwas sagte.
    »Was war das für… Gift, das Sie uns da letzte Nacht serviert haben, Langbein?«, krächzte Galen. »Ich fühle mich, als hätte mich ein Zug überrollt.«
    »Absinth«, sagte Michael matt. »Das ist ein sehr intellektuelles Getränk.«
    Galen antwortete mit einem giftigen Blick, der Michael nahe brachte, dass gute Laune nicht das Motto des Tages werden würde. Nach den Ereignissen des gestrigen Abends und dem John-Woo-Film, den sie für den Rest der Nacht ertragen hatten, hatte Michael auf einen besseren Anfang des Morgens gehofft. Ein ordentliches Frühstück wäre immerhin ein gutes Zeichen dafür gewesen, dass Gott ihn nicht wirklich hasste. Wie die Dinge standen, konnte er sich nicht sicher sein, was Gott tatsächlich von ihm hielt. Ganz im Gegensatz zu Galen – Michael war davon überzeugt, dass dieser ihn im Augenblick irgendwo zwischen Steuereintreiber und Kinderschänder einstufte.
    Wie um Michaels Gedanken zu bestätigen, räusperte sich Galen. »Wie spät ist es, Langbein? Ihre Uhr haben Sie wohl nicht auch noch verloren, oder?«
    »Ah, nein«, sagte Michael ruhig und zog seine Uhr aus der Tasche. »Es ist zehn Uhr dreiundzwanzig.«
    »Herrgott noch mal«, sagte Galen. »Wo zum Teufel steckt Juda?«
    »Hey«, sagte Michael, als er die Uhr wieder einsteckte. »Ich habe immer noch die Zahnpasta in meiner Tasche. Zumindest war die Nacht kein vollkommenes Desaster.«
     

     
    Aus dem Gebäude herauszukommen, in dem sich Michaels Wohnung befand, war kein Problem gewesen; in eine Straße zu gelangen, in der sie nicht von ihren Verfolgern in die Enge getrieben wurden, dagegen schon.
    Sie schlichen sich zum Hintereingang hinaus und Juda nahm als erster die Beine in die Hand, dicht gefolgt von Galen und schließlich Michael, der die anderen bald überholte. Mit seinen langen Beinen machte er Riesenschritte und lief in Richtung der Grillparzerstraße, die direkt südlich an der Universität vorbei zum Rathauspark führt.
    Juda, der trotz seines weichen, mühelosen Trabs schwer atmete, schloss zu Michael auf. »Was haben Sie vor?«
    »Der Park«, gab Michael schnaufend zurück. »Dort gibt es über die Wiesen verstreut eine Menge Bäume und Büsche. Vielleicht können wir uns da verstecken.«
    Der Himmel war schwarz – der Mond war nicht zu sehen –, und eine Wolkendecke bot zusätzlichen Schutz. Juda nickte, ohne stehen zu bleiben, und gab Galen ein Zeichen, der sich einige Schritte hinter ihnen befand.
    Der Park wurde von einem breiten Platz in nahezu symmetrische Hälften geteilt.
    »Wohin?«, fragte Juda, »Parlament, oder Universität?«
    »Parlament.«
    Die drei flüchtenden Gelehrten eilten die Allee hinunter in den Park hinein und blieben einen Augenblick stehen, um sich noch einmal umzusehen. Aus der Dunkelheit hinter sich konnten sie die Geräusche ihrer Verfolger hören: zweihundert Studenten mit Löchern in den Köpfen und einer plötzlichen Vorliebe für heulende Töne und das Erklimmen von Gebäuden. Um

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