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Die ewige Bibliothek

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Titel: Die ewige Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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umgaben, zu erklären und zu steuern; ganz zu schweigen von der unausgesprochenen Hoffnung, dass gerade Bayreuth die ideale Bühne sei, um die Entfaltung der eddischen Geschichten mitanzusehen.
     

     
    Die Notiz flatterte zu Boden, als Michael gerade die Tür zu seinem Büro aufschließen wollte: Der Rektor wünscht eine Besprechung – umgehend. So, so, dachte Michael. Es musste etwas mit der Reise zu tun haben, die in drei Tage stattfinden würde. Er hatte einen vollen Terminkalender, nahm aber an, dass er einige Minuten erübrigen konnte, um sich anzuhören, was Galen wollte. Er steckte den Schlüssel in die Tür – und stellte fest, dass er sich nicht herumdrehen ließ.
    Das Schloss war ausgetauscht worden.
    Das war nur der erste Schock von vielen.
    Sein Vorlesungssaal war nicht verschlossen, doch es handelte sich um eine reguläre Veranstaltung und der leere Raum hätte voller Studenten sein müssen.
    Die sonst recht freundlichen Sekretärinnen wichen seinem Blick aus und flüsterten hinter seinem Rücken, wenn er an ihnen vorbeiging. Einer der Professoren für Soziologie spuckte nach ihm, als er den Hof der Verwaltung betrat, aber der Kerl war schon immer ein Idiot gewesen.
    Die Sekretärin des Rektors bedachte ihn mit einem angewiderten Blick und betätigte den Summer, um ihn in das Büro zu lassen.
    Michael klopfte an der schweren Eichentür. »Hallo? Sie wollten mich sprechen, Rektor Gunnar-Galen?«
    »Ach Langbein, halten Sie einfach die Klappe «, sagte Galen ärgerlich. »Kommen Sie herein und machen Sie die Tür zu.«
    Michael schloss die Tür und setzte sich in den teuren Sessel aus violettem Leder vor Galens Schreibtisch. Er betrachtete seinen ehemaligen Gefährten und stellte fest, dass das Ambiente zu ihm passte. Der Brokatmantel am Kleiderständer, das Edda-Manuskript auf dem Schreibtisch, die byzantinischen Skulpturen, die er mit dieser Stelle übernommen hatte – das neue Büro passte zu dem pompösen Gehabe, das Galen normalerweise zur Schau stellte. Heute allerdings nicht.
    Galens Blick war schwer einzuschätzen. Er zeigte teils Erschöpfung, teils Ärger, und teils… Erleichterung?
    Er ließ eine schwere Akte vor Michael auf den Schreibtisch fallen. »Sie sind entlassen«, sagte er in einem Ton der Endgültigkeit. »Der Senat hat eingewilligt, dass ich es Ihnen sage, um einen Skandal zu vermeiden.«
    »Das ist ein Witz, oder?«, fragte Michael nervös. »Ist Juda hier?«
    »Juda ist nicht hier, es ist kein Witz, und wenn ich Sie wäre, würde ich darüber nachdenken, mir einen Anwalt zu nehmen«, sagte Galen ernsthaft.
    Michael fing an zu stottern. Er konnte nicht fassen, was er da hörte. »W-warum, Galen? Was ist passiert?«
    Galen klopfte auf die dicke Aktenmappe. »Wissen Sie, was das ist?«
    »Ja – das ist die Akte über meine Anschaffungen«, sagte Michael.
    »Wir haben gerade die Etatprüfung beendet«, sagte Galen, »und jemand kam auf die Idee, Ihre Akte durchzusehen. Wissen Sie, was man gefunden hat?«
    »Nein. Ich wüsste nicht, was damit nicht in Ordnung sein sollte, Galen. Ich schwöre es.«
    Galen sah ihn düster an und schlug die Aktenmappe auf.
    Michael beugte sich vor und überflog die Listen – und sein Gesicht erstarrte vor Entsetzen.
    Es gab zwei Hauptbuch-Einträge für jedes Stück, das das Institut für Ältere Literatur und Geschichte erworben hatte: einen über den tatsächlichen Preis des Objektes, und einen über den Betrag, den Michael angefordert hatte. Die Zahlen in der zweiten Spalte waren deutlich höher als die in der ersten, und es gab für jeden Eintrag entsprechende Belege.
    »Das… das kann unmöglich stimmen!«, rief Michael. »Galen, ich weiß nicht was hier vor sich geht, aber…«
    »Es tut mir Leid«, sagte Galen. »Der Entschluss steht fest.«
    Er stand auf und streckte Michael die Hand hin. »Viel Glück, Michael.«
    Benommen schüttelte Michael seine Hand und stolperte aus dem Büro. Weniger als eine Stunde später saß er auf dem großen Riesenrad am Prater und versuchte, die niederschmetternde Umkehrung zu begreifen, von der sein Leben gerade heimgesucht worden war. Da wurde ihm bewusst, dass Galen ihn zum ersten Mal Michael genannt hatte.
     

     
    Am nächsten Tag wanderte Michael durch Wien, trank Kaffee und fragte sich, ob er das Land verlassen sollte. Er dachte daran, Juda zu besuchen, aber nach der Reaktion anderer Fakultätsmitglieder an der Universität fürchtete er sich vor dem Empfang, der ihn erwarten könnte. Er hoffte

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