Die ewige Prinzessin: Historischer Roman (German Edition)
einstellen. Vielleicht kann ich sogar wieder ein Kind empfangen und diese überwältigende Zärtlichkeit ein zweites Mal erfahren.
Ich beginne mich wieder lebendig zu fühlen, ich bin eine Frau mit Hoffnungen und mit Zukunft, ich bin die Frau, die aus der kleinen Spanierin wurde. Ich spüre, dass ich lebendig bin, auf halbem Wege zwischen meiner Vergangenheit und meiner Zukunft.
Es ist, als untersuchte ich mich selbst wie ein Reiter nach einem schlimmen Sturz: Ich taste meine Arme und meine Beine ab, suche nach bleibenden Schäden. Mein Glaube an Gott kehrt wieder, unerschütterlich wie zuvor. Nur eine einzige große Veränderung scheint in meinem Leben vorgegangen zu sein: Ich glaube nicht mehr so unbedingt an die Unfehlbarkeit meiner Eltern. Zum ersten Mal im Leben halte ich es für möglich, dass sie in manchen Dingen irrten.
Ich erinnere mich an den freundlichen maurischen Arzt und muss mein Urteil über sein Volk revidieren. Er kam mir, seiner Feindin, so nahe und war dennoch fähig, mir mit dem tiefsten Mitleid zu begegnen; es wäre unrecht, ihn als Barbaren oder Wilden zu bezeichnen. Er mag ein Ketzer sein - tief in einem Glaubensirrtum befangen -, doch man muss ihm seine eigenen Schlussfolgerungen und seine eigenen Gründe zugestehen. Und was ich von diesem Manne vernommen habe, zeigt mir, dass es gute Gründe sind.
Ich würde ihm gern einen braven Geistlichen schicken, der versuchen könnte, seine unsterbliche Seele zu retten, aber ich behaupte nicht mehr wie einst meine Mutter, dass Yusufs Seele bereits tot sei und dass er nichts mehr erwarten könne außer der Verdammnis. Er hielt meine Hand, als er mir die schlechte Nachricht mitteilte, und ich sah die Zärtlichkeit der Gottesmutter in seinen Augen. Ich kann die Mauren nicht mehr als Ketzer und Feinde abtun. Ich muss anerkennen, dass sie Menschen sind wie wir, fehlbar wie wir, ihrem Gott ebenso ergeben wie wir dem unseren.
Und so komme ich dazu, an der Weisheit meiner Mutter zu zweifeln. Einst hätte ich geschworen, dass sie alles weiß, dass ihr Wort überall und jederzeit gelten müsse. Doch inzwischen bin ich erwachsen genug geworden, um sie nachdenklicher zu betrachten. Als ich Witwe wurde, stürzte ich in Armut, weil meine Mutter den Ehekontrakt nicht sorgfältig genug formuliert hatte. Zwar drängte sie mich in den folgenden Jahren heimzukehren, doch in Wirklichkeit war ihre mütterliche Sehnsucht nur vorgetäuscht; um keinen Preis hätte sie mich wieder in Spanien haben wollen. Sie verhärtete ihr Herz gegen mich und hielt an ihren Plänen mit mir fest, auch wenn sie mich, ihre Tochter, zum Opfer darbrachte.
Und als ich völlig verzweifelt war, musste ich heimlich einen maurischen Arzt zu mir kommen lassen, weil meine Mutter ihren Teil dazu beigetragen hatte, die besten Ärzte und Wissenschaftler aus den christlichen Nationen zu vertreiben. Deren Weisheit war in ihren Augen Sünde gewesen, und das übrige Europa hatte ihre Ansichten übernommen. Meine Mutter säuberte Spanien von Juden und Mauren, von überaus fähigen und klugen Menschen. Meine Mutter, die Gelehrtheit bewunderte, verbannte jene, die man die »Besitzer der Schrift« nennt. Sie, eine Kämpferin für die Gerechtigkeit, hatte sich des Unrechts schuldig gemacht.
Ich vermag noch nicht zu sagen, wohin diese Gedanken führen werden. Schon jetzt haben sie eine Entfremdung bewirkt. Meine Mutter ist tot, ich kann ihr keine Vorwürfe mehr machen oder mit ihr streiten, nur noch in Gedanken. Aber ich weiß, dass die letzten Monate in mir einen tiefen und bleibenden Wandel bewirkt haben. Ich bin zu einem Weltverständnis gekommen, das mit dem ihren nichts mehr gemein hat. Ich werde keinen Kreuzzug gegen die Mauren oder gegen ein anderes Volk unterstützen. In Zukunft lehne ich die Verfolgung Andersdenkender oder Andersgläubiger ab. Ich weiß, dass meine Mutter nicht unfehlbar war, und glaube nun auch nicht mehr, dass sie und Gott eins sind. Obgleich ich meine Mutter immer noch liebe, bete ich sie nicht mehr an. Dies ist wohl ein Zeichen, dass ich erwachsen geworden bin.
***
Langsam tauchte die Königin aus ihrem Schmerz auf und begann wieder Interesse an den Angelegenheiten des Hofes und des Reiches zu zeigen. Ganz London summte von Berichten über schottische Freibeuter, die ein englisches Handelsschiff überfallen hatten. Jeder kannte den Namen des Anführers der Piraten: Es war Andrew Barton, der, gedeckt durch eine Vollmacht König Jakobs von Schottland, erbarmungslos
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