Die ewige Straße
auf Illyrien und die Mississippi-Liga, dann auf Brockett und den Friedensvertrag.
»Wo genau liegt Brockett?« wollte Chaka wissen.
»Ungefähr hundert Meilen östlich. Am Ende des Kanals. Dort, wo der Kanal in den Hudson mündet.«
»Den Hudson?«
»Unsere wichtigste Nord-Süd-Verbindung. Unser gesamter Handel wird über den Hudson und über den Kanal abgewickelt. Wenn Sie möchten, würde ich mich glücklich schätzen, eine Passage auf der Columbine für Sie zu arrangieren. Das Schiff gehört Kapitän Warden. Ich nehme doch an, Sie wollen weiter nach Brockett?«
»Ja«, sagte Quait. »Das wäre wirklich sehr freundlich von Ihnen.«
»Selbstverständlich hätten wir auch nichts dagegen, wenn Sie in Betracht zögen, hier zu bleiben und bei uns zu leben. Das Leben in Oriskany ist gut, und wir könnten Leute wie Sie gebrauchen.«
»Sie kennen uns doch gar nicht«, sagte Flojian.
»Ich weiß genug.«
Die drei Gefährten blickten sich an, und Chaka sah, daß alle einer Meinung waren. »Danke sehr für das Angebot«, sagte Quait. »Aber wir können nicht einfach aufgeben und hierbleiben.«
»In Ordnung«, sagte die Richterin. »Ich hatte eigentlich auch nichts anderes erwartet. Vielleicht denken Sie bei Ihrer Rückkehr anders.«
»Was kommt hinter Brockett?« fragte Chaka.
In einem Nachbarzimmer wurde eine leise Glocke geläutet, und Delia erschien in der Tür. »Das Essen ist serviert, Euer Ehren«, sagte sie.
Die Richterin erhob sich. »Hinter Brockett?« wiederholte sie Chakas Frage. »Hinter Brockett liegt nichts als Dunkelheit. Und das Meer.«
Die Diener servierten gebratenes Fleisch und Kartoffeln und eine Auswahl an Gemüsen, dazu frisch gebackene Brötchen und reichlich vom besten Wein. Die drei Gefährten erzählten von ihren Abenteuern, und die Richterin sprach ihr Beileid für die Toten aus.
Die Kinder, deren Lachen zuvor durch das Haus geklungen war, nahmen ihre Mahlzeit in einem anderen Zimmer ein. Sie gehörten den Bediensteten, erzählte die Richterin.
»Meine eigenen Kinder sind längst erwachsen und aus dem Haus.«
»Und wo sind sie jetzt?« fragte Quait.
»In Brockett. Meine Tochter befindet sich noch in der Ausbildung. Meine beiden Söhne stehen beide in Diensten des Direktors.«
»Was für ein Direktor?« fragte Flojian.
»Unser Staatsoberhaupt.«
»Und Frauen erhalten eine richtige Ausbildung?« fragte Chaka.
»Selbstverständlich.«
Die Richterin erzählte, daß sie ihre eigene juristische Ausbildung in Brockett erhalten hatte, bevor sie nach Oriskany zurückgekehrt war und nach dem Tod ihres Vaters das Amt der Richterin übernommen hatte. Sie war die ältere von zwei Töchtern.
Flojian fragte nach ihrem Ehegatten.
Das erwies sich als Fauxpas: Unbekümmert erzählte die Richterin, daß sie keinen Mann habe, niemals verheiratet gewesen sei und (wenn ihre Gäste ihre Offenheit verzeihen mochten) auch keine Notwendigkeit dazu zu erkennen vermochte. »Ich sehe, daß Sie schockiert sind«, fügte sie hinzu.
»Nicht wirklich«, stotterte Quait, weil ihm keine bessere Antwort einfallen wollte.
»Schon gut, das macht überhaupt nichts. Die meisten Menschen verwechseln sexuelle Enthaltsamkeit mit Tugend. Das ist nicht ihre Schuld, wirklich nicht. Die Gesellschaft impft ihnen diese Dinge ein, und niemand stellt sie je in Frage.«
»Aber die Götter befehlen es so!« widersprach Flojian steif.
»Welche Götter sollen das sein? Die Götter des Südens? Oder die Götter des Nordens?«
Flojian blickte zu Chaka, doch Chaka sah keinen Grund, ihm zu Hilfe zu kommen.
»Die meisten Gesellschaften fangen mit Göttern an und enden bei der Philosophie«, sagte die Richterin. »Irgendwann erkennt jeder, daß es keine Götter gibt und daß die Gesetze von toten Männern und Frauen gemacht wurden. Mein Vater hat mich einmal gewarnt, daß ich auf meinem Totenbett nur eins bedauern würde: die vielen Dinge, die ungetan geblieben sind.«
»Aber es gibt so etwas wie Tugend«, beharrte Flojian mit erregter Stimme.
»Selbstverständlich. Ich würde sogar sagen, daß es nur eine einzige echte Tugend gibt, und das ist die Weisheit. Die anderen sind allesamt Schwindel. Und da wir gerade beim Thema sind: falls Sie die Nacht nicht allein verbringen möchten, organisiere ich gerne Gesellschaft für Sie.« Die Richterin blickte ihre Gäste an, doch die drei wanden sich unbehaglich bei der Vorstellung, und schließlich lachte sie. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht, daß Sie sich unbehaglich fühlen.
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