Die ewige Straße
eingestürzter Brücken, abgestorbener Bäume und anderer versteckter Gefahren.
Irgendwie war sogar ein Haus mitten in den Kanal geraten. Es stand vollkommen unter Wasser, doch als Chaka in das stille, klare Wasser hinunterblickte, entdeckte sie Mansardenfenster und einen Schornstein.
Sie benutzte ihre Deckenrolle als Kissen, setzte sich an die Außenwand der Kabine und genoß die schaukelnde Bewegung des Schiffs und das warme Wetter des späten Frühlings. Sanfte Hügel und bebaute Felder glitten vorüber. Rotwild weidete am Ufer und beobachtete das Schiff. Dichte Walnußbäume und rote Zedern säumten die Böschungen. Kinder spielten auf den Feldern und sahen auf, als die Columbine vorüberfuhr, um schließlich ans Wasser zu laufen und heftig zu winken.
Auf den Straßen fuhren Pferdegespanne. Fischer waren in kleinen Booten unterwegs. Je weiter das Schiff nach Osten kam, desto dichter besiedelt war das Land. Menschen traten aus ihren Häusern und beobachteten das Schiff.
»Kapitän, erzählen Sie mir vom Hudson«, sagte Chaka, als Warden wieder auftauchte.
»Was möchten Sie wissen?«
»Mündet er in ein Meer?«
»O ja, selbstverständlich. Ungefähr 180 Meilen weit im Süden.«
Flojian war eingeschlafen, und Quait war bei einem der Matrosen, um Skizzen zu vergleichen. Warden ließ sich neben Chaka nieder. »Der Hudson besaß vielleicht sogar einmal oben im Norden eine zweite Verbindung zum Meer. Es gab einen Kanal, genau wie diesen hier. Er war nicht so lang. Heutzutage ist er versandet.«
So weit, so gut. »Kapitän, könnten wir die Columbine chartern?«
Warden grinste. »Wozu?«
»Das weiß ich noch nicht so genau. Möglicherweise benötigen wir eine Transportgelegenheit über das Meer.«
Er überdachte ihr Angebot nicht eine Sekunde. »Tut mir leid«, sagte er. »Wir haben einen engen Fahrplan, und ich bin meinen Kunden verpflichtet.« Er blickte sie fragend an. »Chaka, waren Sie jemals auf See?«
»Nein, bisher noch nicht.«
»Mit der Columbine hätten Sie gewiß nicht die kleinste Chance.«
»Oh?«
»Ehrlich gesagt, ich kenne kein Schiff irgendwo auf unseren Flüssen, mit dem ich über das Meer fahren würde.« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht noch am ehesten mit der Packer, aber sie ist vor ein paar Monaten gekentert. Das sollte Ihnen Warnung genug sein.«
Seine Augen wurden nachdenklich. »Ich war einmal unten im Süden«, fuhr er fort. »An der Flußmündung.« Seine Stimme klang ehrfürchtig. »Es gefiel mir nicht besonders. Dort unten gibt es eine Stadt der Straßenbauer, die mit nichts zu vergleichen ist, was Sie jemals gesehen haben, Chaka.«
Chaka dachte an die beiden Riesenstädte, durch die sie unterwegs gekommen waren. »Hohe Türme?« fragte sie.
»Ja«, antwortete Warden. »Aber Sie müssen sie mit eigenen Augen gesehen haben, um zu verstehen, was ich meine.«
Sie kamen nun immer häufiger an malerischen Dörfern und imposanten Herrenhäusern vorbei und legten mehrmals an, luden Fracht aus und nahmen Weinfässer an Bord. Am Nachmittag nahmen sie noch einmal Passagiere an Bord. Später sahen sie eine Gruppe nackter Jungen, die sich rings um ein Floß eine Wasserschlacht lieferten.
Alles in allem verlief die Fahrt ohne Aufregungen. Kurz vor Sonnenuntergang passierten sie eine Reihe alter Festungsanlagen und liefen dann in die größte bewohnte und lebendige Stadt ein, die Chaka jemals gesehen hatte. Zu beiden Seiten des Kanals erstreckten sich Häuser und Geschäfte, öffentliche Gebäude, Tempel und Parkanlagen. Menschenmassen säumten die Ufer, füllten Plätze und Straßenrestaurants oder schauten Ballspielen zu. Ein anderes Schiff legte gerade ab und nahm Kurs Richtung Osten. Direkt voraus endete der Kanal in einem Fluß.
Die Columbine drehte sanft bei und legte an einem Dock an. Warden kam, um sich von seinen Passagieren zu verabschieden. »Falls ich noch irgend etwas für Sie tun kann«, sagte er, »dann lassen Sie es mich wissen.«
Die Kapitänskajüte im Hafen sah vielleicht ein wenig heruntergekommen aus, doch sie war gemütlich. Die Taverne war gut besucht und entsprechend laut. Im Speisesaal hatte eine Sängerin alle Mühe, sich über den allgemeinen Trubel hinweg Gehör zu verschaffen. Die Tische standen zu nah beieinander, und die Kellner mußten sich mit ihren Tabletts voller Brathähnchen und dampfender Karotten mühsam zwischen den Reihen hindurchzwängen. Wenigstens gab es zwei große, weit geöffnete Fenster, durch die frische Luft in das
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