Die ewige Straße
mich über seinen Tod belogen. Ich weiß, daß ich viel von Ihnen erbitte, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich die Sache überlegen könnten.«
Sie gehörte zu der Sorte Menschen, denen man nur schwer eine Bitte abschlagen kann, doch er tat es. »Das wäre reine Zeit- und Geldverschwendung«, sagte er. »Vielleicht würden Sie selbst auch sterben. Nehmen Sie meinen Rat an, Chaka: Tun Sie’s nicht.«
Sie blickte ihn fest an, und er vermutete insgeheim, daß sie sich fragte, ob es sein letztes Wort gewesen war. »In diesem Fall«, sagte sie schließlich, »frage ich mich, ob ich Sie vielleicht für ein paar Tage mieten kann?«
Seit seiner Unterhaltung mit Chaka verspürte Flojian eine innere Unruhe. Sein Vater hatte den Mark Twain weggegeben, um ihn zu verletzen. Eine Botschaft an den eigenwilligen Sohn: Ich überlasse diesen ganz außerg e wöhnlichen Fund lieber einer Person, die ich kaum g e kannt habe, als ihn dir zu geben. Ich weiß, daß die bloße Existenz dieses Buches für Unruhe sorgen wird, und du mußt damit fertigwerden. Und nicht nur das: Ich habe dich ausgewählt, um das Buch zu übergeben.
Verdammter Kerl.
Verdammte Milana. Warum konnte sie das Geschenk nicht einfach dankbar annehmen und damit verschwinden! Alles wäre vorbei gewesen.
Flojian bemühte sich, in seiner Arbeit unterzutauchen, doch er war zu unruhig, um über Fahrpläne und Wartungsprobleme nachzudenken. Am späten Vormittag resignierte er, gab seinem Assistenten Bescheid, daß er den Rest des Tages freinehmen würde, und ritt in die Stadt. Zwei Stunden lang wanderte er lustlos über die Märkte und blieb hier und da stehen, um etwas zu trinken. Als sich schließlich Appetit und Müdigkeit meldeten, ritt er durch die Stadttore hinaus und kehrte in der Wegekreuz-Taverne ein (die gar nicht an einem Wegekreuz lag), um zu Mittag zu essen.
Er war Stammgast und gern gesehener Kunde. Der Wirt wies ihm einen entlegenen Ecktisch zu, wo eine Kerze unruhig in einer verrußten roten Schale flackerte. Ein Kellner brachte kaltes Bier, während Flojian die Tageskarte studierte und sich dann für einen Rindfleischtopf entschied. Mit einfachen Mahlzeiten kann man nichts falsch machen, sagte er sich. Es war früher Nachmittag, und die Taverne hatte nur noch eine Handvoll Gäste. Doch Geräusche wandern weit in einem nahezu leeren Raum, und bald ertappte sich Flojian dabei, wie er dem Gespräch zweier junger Männer und einer Frau lauschte, die ein paar Tische weiter saßen.
»… zweite Expedition!« Das waren die Worte, die Flojian hatten hellhörig werden lassen. Der jüngere der beiden Männer hatte sie mit verächtlichem Schnauben ausgestoßen. Er war richtiggehend dickbäuchig, blond, struppig und paßte kaum in seinen Stuhl. »Das ist einfach verrückt!« Er stieß einen fetten Zeigefinger in die Luft. »Sie werden allesamt umkommen!«
Der zweite Mann trug ein purpurnes Hemd mit einer kurzen weißen Krawatte. Er war noch jung, kaum Mitte Zwanzig, und seine ansonsten netten Gesichtszüge wurden von einem merkwürdig zerknirschten Ausdruck überschattet, einer Mischung aus Grausamkeit und Kriechertum. »Und woher wissen sie, welche Richtung sie einschlagen müssen?« erkundigte er sich.
»Ich schätze, sie haben herausgefunden, welche Route der andere genommen hat«, sagte die Frau. Sie war im mittleren Alter, gut gekleidet und hatte anscheinend ein wenig zu tief ins Glas gesehen.
Flojian betrachtete angelegentlich seinen Bierkrug. Er war reich verziert und mit schwarzen Glastränen besetzt. Eine sehr hübsche Arbeit.
Der Zerknirschte schüttelte den Kopf und wandte sich an den Dickbäuchigen. »Der andere ist nicht zurückgekommen, Gammer. Man sollte wirklich meinen, sie hätten daraus gelernt!«
Gammer blickte gelangweilt drein.
»Ich dachte, du wärst der erste, der sich freiwillig meldet, Hok.«
»Ich doch nicht! In meiner Familie gibt es keine Idioten.«
Gammer grinste ein schiefes Grinsen, das durch die nichtssagenden Augen grausam wirkte. »Ich wußte gar nicht, daß du deine Familie kennst.«
Flojian nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug.
»Was ist eigentlich wirklich mit der ersten Expedition geschehen?« fragte die Frau.
»Dieser Typ, der als einziger zurückkam … ich weiß seinen Namen nicht mehr. Er hat die anderen im Stich gelassen.« Gammer brach ein Stück Brot von einem Laib, tauchte es in seinen Eintopf und schob es sich in den Mund. Während er mit vollem Mund weiterredete, zeigte er mit der Gabel
Weitere Kostenlose Bücher