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Die ewige Straße

Die ewige Straße

Titel: Die ewige Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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hieß Tully. Er war neun Jahre alt und hatte sich eine Krankheit zugezogen, die seinen Leib mehr und mehr verfallen ließ und auf keine einzige ihrer zahlreichen Medizinen, Breiumschläge und Linderungsmittel reagiert hatte. Avila hatte das Krankheitsbild schon häufiger gesehen: Die grau werdende Haut, der Gewichtsschwund, die schmerzenden Gelenke. Und der nach und nach versiegende Wille zu leben. Normalerweise waren die Opfer ältere Menschen.
    Tully war vor gut vier Monaten in den Tempel gekommen. Zuerst war er unwillig und begierig, wieder nach draußen und zu seinen Freunden zu kommen, und er hatte auf keine ihrer Pflegemaßnahmen reagiert. Doch bald schon war die Ungeduld in seinen Augen der Traurigkeit gewichen. Der Junge hatte angefangen, ihr zu vertrauen, und die Krankheit tapfer bekämpft. Doch trotz all ihrer Bemühungen war er bei jedem Besuch schwächer gewesen. Und die Eltern hatten ein geradezu kindliches Vertrauen in Avila, daß ihr fast das Herz brach.
    Steh ihm bei in der Stunde seiner Qual.
    Tully war ein kluges Kind mit grünen Augen und voller Lachen gewesen, als Avila ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt war er von der Krankheit aufgezehrt und nicht mehr bei vollem Bewußtsein, und das Fieber raste ungebrochen durch seine Adern. »Helfen Sie ihm, Mentorin«, hatte die Mutter sie immer wieder angefleht.
    Tully war nun von oben bis unten in feuchte Tücher eingeschlagen, ein vergeblicher Versuch, das Fieber zurückzudrängen. Seine Augen blickten leer. Er war bereits so gut wie tot.
    Avila konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.
    Shanta, wo bist du?
    Sie nahm die Fackel entgegen, die Sarim gehalten hatte, und reichte sie dem Vater. Er ergriff sie voller Verzweiflung und steckte sie in das Kohlenbecken neben dem Bett des Knaben. Die Holzkohle fing zögerlich Feuer.
    Von der Vorderseite des Hauses her, wo sich die Verwandten eingefunden hatte, vernahm Avila unterdrückte Schluchzer. Sie ergriff das Handgelenk des Knaben und zählte still den Puls. Er war sehr schwach.
    Avila brachte es nicht fertig, den Eltern in die Augen zu sehen. Statt dessen ließ sie den ausgemergelten Arm des Jungen wieder auf das Bettlaken sinken, ohne seine Hand loszulassen, und senkte den Kopf.
    Mutter Shanta, ich habe nie um eine Gunst für mich selbst gebeten. Ich weiß, daß Du jetzt bei mir bist, wie Du immer bei mir bist, und das ist mir genug. Ich werde o h ne Klagen jedes Schicksal ertragen, das Du für mich b e schlossen hast. Aber bitte, bitte rette dieses Kind. Laß es nicht sterben.
    Sie mußte mit ansehen, wie die Hoffnung der Eltern schwand, wie die letzten Kräfte des Knaben schwanden und sah zu, wie die Verwandten einer nach dem anderen den Raum betraten und sich von Tully verabschiedeten. Der Wind rüttelte an den Fenstern, und die schwache Flamme im Kohlenbecken flackerte und zischte.
    Was auch immer Dein Urteil …
    »Mentorin?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie ärgerte sich über die Aufdringlichkeit der Verwandten. Warum verlangten sie derart Unmögliches von ihr, als würde sie selbst über die göttlichen Kräfte gebieten?
    In der Stunde nach Mitternacht stellte der ausgemergelte kleine Leib seinen Kampf ein, und sein mühsamer Atem versiegte. Avila schloß dem toten Kind die Augen. »Es tut mir so leid«, sagte sie. Die Mutter drückte den Leichnam an ihre Brust, der Vater lehnte zusammengesunken an der Wand und flüsterte den Namen seines Sohnes, als könne er ihn zurückrufen.
    Shanta, ich übergebe den Knaben Tully in Deine O b hut. Er war erst eine Handvoll Jahre in dieser Welt.
    Auf dem Weg zurück zum Tempel erkundigte sich Sarim, ob ihr etwas fehle. »Nein, es geht mir gut«, log sie.
    Und dann, nach einigen Minuten des Schweigens: »Welch einen Sinn macht eine Göttin, die niemals eingreift oder den Menschen hilft?«

Kapitel 6
     
     
    Die junge Avila war gerne zusammen mit ihrem Vater das vom Mondlicht beschienene Ufer des Mississippi entlang geritten. Sie hatte immer gehofft, daß sich eines Tages Lyka Mondschein zeigen würde.
    Seit langer Zeit hat niemand mehr Lyka gesehen, mein Kind, hatte der Vater ihr erzählt. Lyka Mondschein ist menschenscheu und zieht es vor zu erscheinen, wenn niemand in der Nähe ist. Aber deine Großmutter hat sie einst gesehen.
    Es hatte Zeiten gegeben, da war Avila fest davon überzeugt, daß sie Lyka ebenfalls gesehen hätte: Ein schneller, irisierender Lichtschein, der über die dunklen Wasser strich und einen leuchtenden Bogen beschrieb, wie ein Lächeln in

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