Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
unterwegs weg, aus dem
Zug, oder irgendwo hier in Bütte-Erkenroytz in eine Tonne, mal sehen, was so
kommt! –
Mal sehen, was so
kommt! Das klang so leicht damals, so leicht und spielerisch, dass es den
anderen Gedanken, den sie beim Anblick der Turnschuhe gehabt hatte, sofort
wieder verdrängte, denn auf einmal fühlte sie, wie sich ihre Brust weitete und
sich ein anderes Gefühl, ein unbekanntes, nicht zu beschreibendes, gegen die
eiserne Bedrückung stemmte, die sie seit so vielen Jahren kannte, dass sie
meinte, sie schon gar nicht mehr als unangenehm wahrzunehmen. Ein Dauerschmerz,
an den man sich gewöhnte, wenn er nur nicht die Intensität veränderte.
Mal sehen, was so
kommt!
Frau Weinwurm sprang
auf, warf die Turnschuhe in ihren Koffer und drehte sich noch ein letztes Mal
zu den Fenstern um, die auf den Hof und den Kinderspielplatz blickten. Sie
öffnete den Mund so weit sie konnte und streckte der Wippe, dem
gegenüberliegenden grauen Haus, dem einzigen Baum, um den sich tagsüber alle
Hunde der Wohnanlage drängten, und dem Geschmiere auf ihrem Fenster die Zunge
heraus. Und sie hörte sich mit einem Mal glucksen und kichern und sie glaubte,
dass Terese gleich wieder schimpfen würde, aber nichts geschah, vielleicht weil
ihre tote Mutter diese Laute von ihr nicht kannte und nicht wusste, dass sie es
war?
Der Leinenglockenrock
hing an einem verbogenen Drahtbügel an der Garderobenstange und Frau Weinwurm
schob ihre Füße in die Cowboystiefel und tänzelte in Boxershorts trällernd auf
ihn zu, vor zurück vor zurück vor zurück und Drehung!
Sie schnappte sich
den Rock und tanzte weiter, kehrte dabei die Taschen nach außen um sie zu
inspizieren. Oh weia, hier hatte ihre Mutter Recht gehabt, ein großer rostroter
Fleck verunzierte den Leinenstoff, und wie lange hatte sie in der
Umkleidekabine bei Peek & Cloppenburg gesessen und an den Fingern
nachgezählt, ob sie sich den Rock leisten durfte, denn es war doch so, dass ihr
nichts zustand, dass sie sparen musste, dass all ihr Geld eines Tages einer
gerechten, einer edlen Sache zugutekäme. Vielleicht sogar der Stiftung ihres Daddy ,
nur nicht ihr, sie durfte nichts behalten, nichts ausgeben, das war streng
VERBOTEN! Aber schließlich hatte sie ihn doch gekauft, voll schlechtem Gewissen
und natürlich musste er deshalb zerstört, ihr wieder weggenommen werden, nicht
wahr?
Frau Weinwurm seufzte
und blieb stehen, sah nach den Korken, die sorgfältig nebeneinander auf dem
Nachttisch lagen. - Ihr seid schuld! - Bist du irre? Wir haben uns nicht
freiwillig in deine Tasche geschmuggelt, DU hast uns mitgenommen, Alte! -
Jaja jaja! Schon gut!
Nur konnte sie sich jetzt, und Frau Weinwurm drehte die Beine ihrer Boxershorts
gedankenverloren zu zwei Zipfeln, die ihre Oberschenkel einschnürten, gar nicht
mehr recht entsinnen, warum sie sie unbedingt mitnehmen wollte, außer dass sie
so unpassend in all dem blutigen Scherbenchaos gewirkt hatten, so sehr, dass
ihr die Augen schmerzten. Sie musste sie haben, so würde auf eine merkwürdige
Weise die Ordnung wiederhergestellt in diesem schicken Penthouse mit den edlen
Marmorböden, fleckenfreien Glasvitrinen und edlen Teppichen. Und sie nahm die
Korken an sich, drehte den einen sorgfältig mit dem Korkenzieher aus dem
Flaschenhals und drückte den anderen mit dem Daumen hinaus, als ob sie den
Stöpsel in der Badewanne ziehen würde und alles Widerliche, Ekelerregende liefe
gurgelnd den Abfluss hinab. Und während sie drehte und schob und ordentlich
aufpasste, dass sie sich nicht an den kaputten Flaschen verletzte, dachte sie
daran, wie sie mit ihrem Hintern das Kissen plattgedrückt hatte. Hin und her
war sie gerutscht wie ein ungeduldiges Kind vor Heiligabend und flüchtig, kurz,
schemenhaft sah sie nun das Gesicht unter dem Kissen, wie es von der Bewegung
gerieben wurde. Als cremte es eine liebevolle Mutter vor dem Zubettgehen mit
Nivea ein!
Frau Weinwurm nahm
den Rock und breitete ihn auf dem Bett aus. Aus zwei wattierten Umschlägen und
ihrem Brustbeutel zerrte sie mit rotem Seidenband umwickelte und mit akkurater
Schleife verzierte Geldscheinbündel, Euros, Dollars, ein paar Münzen, ihr
heimlicher Vorrat, den sie über die Jahre angespart hatte. Einem Bankkonto
misstraute sie zutiefst, sie wusste wie leicht es für andere war, sie zu
entmündigen, sie zu bevormunden und über ihr Leben zu bestimmen. Aber niemand
durfte ihr das Geld wegnehmen, denn es gehörte ihr ja nicht sondern der gerechten
Sache. War ein
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