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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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passiert?
    Damals vor mindestens
einhundert Jahren, als sie auf ihrem Fensterplatz in dem alten, ratternden
Intercity saß und hinausblickte auf eine verschwommene, nebelige
Frühlingslandschaft, auf wimmelnde Campingplätze, marode Fabrikgebäude mit
demolierten Fenstern, buntscheckige Kühe, die dem Zug unschlüssig hinterhersahen.
Sie war durch den gesamten Zug geirrt, um ein Abteil zu finden, in dem sich das
Fenster nach unten schieben ließ, denn, gab es denn so etwas? Überall saßen die
Fahrgäste in stickigen Großraumwagen und konnten nur an den Scheiben kratzen,
wenn sie sich nach Luft und Sonne sehnten, und es schien ihnen nicht einmal
etwas auszumachen! Aber wahrscheinlich, dachte sich Frau Weinwurm, während sie
ihren Smiley-Koffer durch die Gänge wuchtete, fuhren sie dauernd, waren immer
unterwegs, während dies ihre erste Reise in über zwanzig Jahren war, was sie
dem Herrn Schaffner auch mitgeteilt hatte, der dies nur mit einem lauen
Achselzucken kommentierte, was Frau Weinwurm wiederum sehr unhöflich fand und
sie ein bisschen beleidigte.
    »Ich habe eine Reise
gewonnen, Herr Schaffner. Das erste Mal in meinem Leben fülle ich ein
Kreuzworträtsel aus und päng ! Eine Reise nach Düsseldorf, in einem Hotel
Garni werde ich untergebracht, nichts dolles, aber immerhin, drei Tage mit
Halbpension, und, was meinen Sie, hätte ich das Kreuzworträtsel gemacht, wenn
es nicht auf der Rückseite der neuen Folge von »Leutnant Lostneck und die Spur
des Geisterhäuptlings« gewesen wäre? Wohl kaum, nicht?«
    Und dies war auch der
Grund, warum sie sich diese Reise nach einer langen nächtlichen Gewissensprüfung
genehmigt hatte, denn Reisen gehörte eigentlich zum Bereich Vergnügungen und
diese waren streng verboten. Aber ein Kreuzworträtsel auf der Rückseite von
»Leutnant Lostneck«?
    Ein Zeichen? Ein
Hinweis? Ein Lockruf der Wildnis? Vielleicht sogar, aber darüber mochte sie
nicht nachdenken, ein sehnsüchtiger Wink von Daddy , aber nein, aber
nein, denn war es nicht unvorstellbar, dass Daddy sie ausgerechnet auf
der Kö treffen wollte? Frau Weinwurm kicherte und der Mann ihr gegenüber, der
so hartnäckig nach unten auf seinen Bildschirm starrte, sah kurz auf und
blaffte: »Können Sie das Fenster jetzt wieder schließen? Meine Finger sind
schon Eiszapfen!«  
    Hastig
sprang Frau Weinwurm auf und schob das Fenster nach oben, verbarg ihr
brennendes Gesicht für den Rest der Fahrt hinter dem alten, muffigen Vorhang.
    Bernardo sang lauthals einen
alten Country Song mit, der im Radio lief.
    »Hey, du hast ja eine
richtig wohltönende Stimme, my dear young fellow! Wusste ich’s doch, dass ein
Feuerchen in dir lodert!«
    Erfreut knuffte Frau
Weinwurm Bernardo in die Schulter und der Wagen schlingerte in die Mitte der
Fahrbahn.
    »Schade, dass Mimi
heute keine Zeit hatte, das Picknick am Cedar Creek neulich war so hübsch und
wir haben so angenehm geplaudert, nicht wahr?«
    »Ja, das war schön!«
Versonnen lenkte Bernardo den Wagen auf die Spur zurück und schlitterte über
den Straßenrand, bevor er sich wieder fing und Frau Weinwurms Gesichtsausdruck
im Rückspiegel beobachtete.
    »Fanden Sie nicht
auch, dass sie mich ab und an... nett... vielleicht sogar auffordernd angesehen
hat? Sie bekam auch einmal rote Flecken am Hals, haben Sie es bemerkt, als ich
ihr den Hähnchenschenkel reichte? Mit dem Cayenne-Pfeffer-Dip?«
    »Darf ich?«
    Bernardo nickt und Frau
Weinwurm hievte ihre Cowboyboots auf die Abdeckung des Handschuhfachs. Sie
legte ihr weiches Kinn auf die Knie, streckte eine Hand nach draußen und der
Wind rauschte betörend durch ihre Finger.
    »Sieh mal, selbst auf
meinen Händen hab ich schon Sommersprossen! Sag mir, wenn die
jingle-jangle-Sporen das Plastik aufratschen, ich kann’s von hier nicht sehen.«
    »Jaja, aber sind Sie
nicht auch der Meinung, dass Mimi mich...«
    »Mmmh. Ist ein nettes
Mädchen, diese Mimi, ein wenig meschugge, allerdings, mit diesen ausgefallenen
Manga-Klamotten, ach du liebe Güte, aber die Jugend hat ihre Vorrechte!«
    Bernardos Blick
schweifte über den Rand seiner Sonnenbrille über Frau Weinwurms Boots und den
silbernen Flachmann, der aus der Latztasche lugte, er öffnete den Mund, sah ein
huschendes, pelziges Tier am Straßenrand entlangwieseln, dem Frau Weinwurm
eifrig zuwinkte, und schloss ihn dann langsam wieder.
    An
der nächsten Kreuzung bogen sie ab und Bernardo bat Frau Weinwurm, die Augen zu
schließen, nicht schummeln!, nicht blinzeln!, damit sie die

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