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Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm

Titel: Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Fu
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ohhh,
wunderschön!«
    Hoffentlich fällt ihr
nicht ein, dass er sich gleich auf ein Kaninchen oder eine Wüstenmaus stürzen
wird, dachte Bernardo und umschlang seine Knie. Wie im Damensattel saß Frau
Weinwurm auf einem glatten, warmen Felsen und umfasste die Landschaft mit einem
wohligen Seufzer.
    »Und das ist also
dein Lieblingsplatz? Genau so ist der Blick von der Veranda auf der
Ranch von Daddy ! Genau so!«
    Das letzte Stück den
kargen Berg hinauf mussten sie klettern und rutschen, und Bernardo war
erstaunt, wie behände sich Frau Weinwurm fortbewegte, wie trittsicher sich ihre
Boots vorsichtig kippelnd festen Halt suchten und ihre sommersprossigen Finger
sich um Steine und Gesträuch schlossen. Blasse Fangarme von weichen
Tintenfischen, die sich festsaugten und nicht mehr abließen.
    Im Westen
verdichteten sich die Wolken zu einem dunkelvioletten Schauspiel, ein leichter
Wind raschelte durch das trockene Gras und Frau Weinwurm saß mit andächtig
gefalteten Händen auf ihrem Stein und atmete flach und vorsichtig, wollte jedes
Geräusch aufnehmen, den glatten, sonnenwarmen Fels in ihre Haut brennen und mit
ihm verschmelzen.
    » Daddy -Land.«,
flüsterte sie.
    Sie legte ihre Hände
in den Schoß und betrachtete ihre Finger, die weichen Knöchel, das Handgelenk,
das unter dem Bund ihrer Bluse verschwand, die vier kleinen Perlmuttknöpfe, die
die Bluse fest verschlossen.
    Die Sonne brannte auf
ihren Nacken, Hitze breitete sich auf ihrem Rücken aus, als säße sie zu Hause
in Bütte-Erkenroytz auf ihrem Sofa, die Fernbedienung in der Hand, das
Heizkissen von Karstadt im Rücken. Hastig schüttelte sie den Kopf um das Bild
zu vertreiben.
    Langsam, langsam
krochen ihre Finger auf die Blusenknöpfe zu und fingerten an der glatten
Oberfläche, drückten und zogen sie durch die Knopflöcher und vorsichtig,
ordentlich krempelten sie die Aufschläge hoch, höher, bis zur runden Beuge der Ellenbogen.
    Frau Weinwurm legte
die Hände zurück in den Schoß und blickte zu den ockerfarbenen, verschwommen
Bergen, auf menschenleere Täler und ausgetrocknete, staubige Flussbetten. Der
Habicht kreiste eine letzte Runde und schoss dann mit einem spitzen Schrei zur
Erde.
    Bernardo schluckte,
wollte den Blick abwenden und sah sich doch wieder magisch angezogen von den
roten Schlangennarben auf Frau Weinwurms Unterarm, dicht an dicht, ordentlich
und akribisch... angeordnet ? Zwei Arme, wächsern und zerfurcht, reglos
auf dem Jeansrock ausgebreitet wie malträtierte Albino-Gürteltierchen.
    »Messer, Gabel,
Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht«, summte Frau Weinwurm und strich
zärtlich über ihre Narben. Der Finger hubbelte und stolperte und blieb in den
Vertiefungen stecken, doch fand er seinen Weg immer wieder hinaus!
    »Messer, Gabel,
Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht.«  
    Messer, die mit ihren
geriffelten, glatten, scharfen Schneiden über ihre verwundete Haut schürften,
dass der Eiter gequält über ihren Arm troff und das Blut ihr Kliniknachthemd
besudelte, Terese, die sich abwandte und zur Toilette rannte – Hilfe, noch
nie hab ich mich so übergeben, die hätten mich glatt in der Psychiatrie
behalten, weil ich gar nicht mehr aufhören konnte! - Gabeln, die sie
heimlich unter der Matratze versteckt hatte, und deren stumpfe Kanten so lange
bohrten und kniffen, bis der Schorf aufplatzte. Scheren, viel später, Jahre
später, als sie schon Reisekostenbelege bei »Dr. Mahler’s Babynahrung«
sortierte, Büroscheren, Haushaltsscheren, Nagelscheren, die über die alten
Narben glitten, heiße Glühbirnen, fest gegen die Haut gepresst, bis ihr die
Tränen kamen und sie sich erleichtert auf ihr Bett legte und die Augen schloss.
    Ein fernes, dumpfes Grollen
drang an ihr Ohr und sie blickte nach Westen, wo sich die violetten Wolken zu
hohen, grimmigen Formationen zusammengezogen hatten.
    »Wir sollten uns auf
den Weg machen, wenn das da hinten losgeht, sitzen wir besser im Auto!«
    »Gleich, nur noch
eine Minute, my dear young fellow, nur noch eine Minute.«
    Frau Weinwurm schloss
die Augen. Erinnerungen, scharf und präzise als sei alles vor einer Stunde
passiert.
    Die lange, grüne
Scherbe, die Finger, die aus alter Gewohnheit zu ihrem Arm zuckten, fast gewaltsam
musste sich Frau Weinwurm Einhalt gebieten und beinahe hätte die andere Hand,
die die Decke festhielt, losgelassen, um die widerstrebende Scherbenhand zu
packen und zu führen, doch dann, kaum hatte sie den fremden, leblosen Arm an
sich gezogen,

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