Die Ewigen Jagdgruende der Frau Weinwurm
seine
unbedeutenden Hämatome.
Der
zweite Stiefel floppte von dem kleinen Kieferfuß und Martin stieß ein
Siegesgeheul aus.
»Klasse,
ich bin schon fast erfroren, Scheisse aber auch! Dafür darfst du auch mal meine
Barbie ausleihen!« Martins Stirn legte sich in Falten, als dächte er erst jetzt
über sein großzügiges Angebot und die Konsequenzen nach. »Naja, für einen
Nachmittag mal.«
»Klar!«
Ivonne stand vorsichtig auf und tastete nach dem Geländer. Dann fiel ihr etwas
ein. Sie wollte die Worte hinunterschlucken, doch sie stahlen sich wie von
selbst über ihre Lippen.
»Darf
ich ihr dann auch das Ballkleid anziehen, das du von Liliane zu Weihnachten
bekommen hast?«
»Hä?
Ballkleid, was’n für ein Ballkleid? Wieso Ballkleid? Nö, die doofe Kuh hat mir
nur ein lumpiges Häschenpuzzle geschenkt! Ausgerechnet Häschen, das ist doch
was für Weiber!«
Nach
dieser abschließenden brüderlichen Stellungnahme, winkte Martin noch einmal mit
seinen Stiefeln und verschwand ins Haus. Der muffige Geruch des Piskunov-Hauses
wehte zu Ivonne hinaus und nebelte sie ein. Vorsichtig glitt sie die Stufen
hinunter und schlitterte mit ausgebreiteten Armen zum Gartentor, gegen das sie
mit ziemlich hohem Tempo donnerte. Dies löste die Erstarrung, die sich wie eine
Eisschicht auf ihre Gedanken gelegt hatte und sie sah zum Haus zurück.
Was
passierte da drinnen? In Echt und nicht in Spiel?
Im
obersten Stock flammte Licht auf, und Ivonne erkannte, dass es das
»Herrenzimmer« war, der Bunker, der Hort so vieler Waffen und skurriler Dinge.
Was tat Herr Piskunov? Besiegte er die Alliierten in der Normandie?
Ein
Nazimann.
Es
konnte doch keinen Zweifel geben, dass ein Nazimann tatsächlich gewalttätig
war, sie hatte es doch selbst gesehen, rief sich Ivonne ins Gedächtnis, damals
beim Abendessen, wie er Martin geschüttelt hatte!
Wie
passte alles zusammen?
Sie
musste Liliane fragen, sie wusste schließlich immer Bescheid, hatte immer eine
Antwort, auch wenn die Fragen und Gedanken, die Ivonne verwirrten, kompliziert
und verheddert waren.
Aber
noch bevor sie die Haustür aufschloss, wusste sie mit absoluter Sicherheit,
dass sie Liliane nicht mit Martins Geschichte, die sie ihr sicher, felsenfest
sicher erklären konnte, konfrontieren würde, und Ivonnes Zähne schnappten nach
ihrer Unterlippe, zerrten und zogen, während sie nachdachte und dann mit einem
Zittern im Bauch entschied, dass sie vergessen sollte, Martin heute überhaupt
begegnet zu sein.
Es war nie geschehen.
»Ich
hab gestern den Plan entworfen!«
»Welchen
Plan?«
»Welchen
Plan? Welchen Plan! Den Plan! « Liliane sah sich verschwörerisch
um, doch sie saßen vollkommen alleine neben wummernden, warmen Röhren auf dem
Boden im Heizungskeller der Schule, dem geheimnisvollen Zufluchtsort, an dem
sich Liliane immer verkrochen hatte, als sie in den Pausen wie vom Erdboden
verschluckt schien.
»Du
wirst staunen!« Vergnügt boxte Liliane Ivonne in die Schulter und grapschte
nach der Schoki-Tüte, die Ivonne mit beiden Fäusten umklammert hielt.
»Es
ist perfekt, du wirst sehen! Mach dir keine Sorgen: Wenn es vorbei ist, wird es
sein, als wäre nie etwas geschehen, so wie… wenn man nach einer fiesen
Behandlung vom Zahnarzt kommt.«
»Meinst
du?«, murrte Ivonne wenig überzeugt und haschte nach ihrem Kakao.
»Du
bist doch meine Freundin oder nicht?«
»Sicher.«
»Und
wir sind jetzt Komplizen, denk dran, du kannst nicht mehr einfach aussteigen.
Wer hat denn neulich als Erste diese Lösung gefunden und ausgesprochen ?
Ich nicht! Aber ich war und bin einverstanden. Ich wechsle nicht alle Stunde
meine Meinung so wie andere dies offensichtlich tun. Du hast diesen Weg genauso
gewählt wie ich. Wir sitzen in einem Boot. Da ist nichts zu machen. Du steckst
mit drin.«
Die
Sätze ploppten aus Lilianes Mund wie Gewehrsalven, die Ivonne niederstreckten.
Ivonne sog hastig an dem Plastikstrohhalm, obwohl Liliane keinen Tropfen
Flüssigkeit in der Tüte übrig gelassen hatte, und sie fragte sich, warum sie
keine Chance gegen Lilianes Argumente hatte, sie war nicht besser dran als
Eleonore, die um Liliane herumjagte und nicht verstand, warum sie ihr an einem
Tag das Gesicht schlecken durfte und am nächsten angewidert weggestoßen wurde,
die aber instinktiv spürte, dass dies bestimmt so in Ordnung war, auch wenn sie
keinen blassen Schimmer hatte, warum sie sich dieser zwielichtigen und
merkwürdigen Logik beugen musste.
Und
Ivonne beugte sich seufzend
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