Die Ewigen
Priorität hat."
"Sondern?"
Shara löste sich aus meinem Arm und stand auf - sie gehörte zu den wenigen Frauen, die wenigstens im Stehen so richtig auf mich hinab schauen konnten, und ich fühlte mich zum zweiten Mal heute an meine sehr, sehr ferne Kindheit erinnert.
"Wichtig ist die Frage nach dem 'Warum' - die nach dem tieferen Sinn dieser Fähigkeit. Und da ich dem wohl am besten hier auf die Spur kommen kann, werde ich noch ein bisschen bleiben und mehr darüber herausfinden."
Ich ergriff ihre Hand und pflanzte einen Kuss drauf.
"Siehst du - und deswegen bist du Jacks Mädchen."
Shara entzog mir die Hand und klapste damit einmal auf meine Rechte.
"Nicht schon wieder frech werden."
Trotzdem: Ich musste noch was loswerden, daher war ich jetzt derjenige, mit dringenden Fragen auf der feuchten Bank sitzen blieb.
"Wie willst du denn herausfinden, was genau du kannst? Ich meine ... das ist doch bestimmt nicht einfach, oder?"
Shara sah auf ihre Füße. "Da könntest du Recht haben. Der Junge gestern hatte nur ein wenig Temperatur, eine geprellte Schulter und einen entzündeten Schnitt am Bein, aber danach war meine Hand ganz taub, ich hatte Kopfschmerzen und schlecht war mir auch." Sie zögerte und sah mich an. "Ich hab Angst davor, das noch mal zu machen, Angst um mich selber, mich wieder so schlecht oder noch viel schlechter zu fühlen - und ich finde mich selbst entsetzlich feige wegen dieser Angst. Warum sollte ich sonst mit dem Gedanken spielen, einfach zu gehen?"
Absolut verständlich, fand ich - wenn es einem dreckig ging, weil man anderen geholfen hatte, war das nun wirklich nicht gerade motivierend.
"Shara", setzte ich an, aber dann stand ich auf - manche Sachen konnte man einfach nicht im Sitzen sagen. "Shara, ich bin immer und überall für dich da. Egal was du brauchst, okay?"
Sie lächelte und sofort fühlte sich der trübe Morgen um ein paar Grad wärmer an. Noch wärmer wurde mir, als sie meinen Kopf in ihre Hände nahm, sich auf ihre Zehenspitzen erhob und mich ganz zart auf den Mund küsste - gerade so lang, dass ich einen Hauch von Honig auf der Zunge schmeckte.
"Danke", sagte sie schlicht, dann drehte sie sich um und trabte den Weg weiter, zurück zum Auto.
Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen: Ja, Honig.
"Darf ich das Jack erzählen?", fragte ich, als ich zu ihr aufgeschlossen hatte, sie lachte.
"Untersteh dich!"
"Hast du Jack überhaupt schon mal geküsst?"
Shara lief langsamer und warf mir einen plötzlich wieder sehr frostigen Seitenblick zu. "Ist das wichtig?"
"Na ja - für euch beide schon, oder?"
Sie wurde schneller, scheinbar hatte ich sie erneut verärgert. Du meine Güte, warum hielt ich nicht einfach meine Klappe? Halt, zu dem Thema fiel mir doch noch was ein ... Ich beschleunigte und überholte sie, lief rückwärts vor ihr her und hoffte auf einen ebenen Weg.
"Was ich dich noch fragen wollte: Wo hast du eigentlich gelernt, solche Ohrfeigen zu verteilen?"
Dafür erntete ich zuerst einen bösen Blick, dann sah ich ein Lächeln auf ihrem Honig-Mund.
"Schafe", sagte sie und lief noch einen Gang schneller.
Ich musste mich wieder rum drehen, da sie mich in meinem Rückwärtsgang sonst spielend abgehängt hätte.
"Schafe?"
"Ja. Diese Tiere mit dem dicken Fell, meist in der Herde unterwegs." Sie grinste, als ich sie immer noch verständnislos anstarrte. "Okay. Meine Eltern haben uns in den Ferien jedes Mal in die gleiche Pension nach Österreich geschleppt, aber in einem Jahr war die wegen Renovierung geschlossen, und sie haben Ferien auf dem Bauernhof gebucht. Jeder hatte eine Aufgabe, ich musste die Gemüsereste zu den Schafen bringen. Der Bock der Herde baute sich immer vor der Tür zum Stall auf und schnaubte, ich hab mich nicht vorbei getraut - ich war so Elf oder Zwölf. Dann hat mir der steinalte Vater des Bauern gezeigt, wie man Schafe vertreibt: mit kräftigen Klatschern auf die Nase, weil das so ziemlich der einzige Körperteil ist, an dem die etwas spüren."
"Schafe." Ich schüttelte den Kopf und lachte dann schallend. "Schafe!"
Shara nickte feierlich - und ich lachte immer noch, als wir bald drauf durch das Tor zurück in die Burg fuhren.
Shara Natürlich wusste ich, dass Ciaran und Andreas mich so schnell wie möglich sehen wollten - heute würde wieder einmal ein Tag mit viel Gerede und vielen Gläsern Wasser in der Bibliothek oder dem nächstbesten Arbeitszimmer sein. Da ich aber vorher noch etwas anderes zu erledigen hatte (nein: etwas anderes
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