Die Ewigen
über den Ex-Kratzer, zog meinen Arm dann näher zu sich heran.
"Glückwunsch, der Korken war schmutzig. Jetzt hast du auch ein Tattoo."
"Meines aus Dreck, deines aus Gold - damit sind die Standesunterschiede ja geklärt", sagte ich und betrachtete die feine Linie dunkler Punkte in meiner Haut, Shara kroch derweil noch tiefer in ihren Pulli.
Wenn ich eine Jacke gehabt hätte, hätte ich sie ihr gegeben, aber um den Gentleman spielen zu können, war ich leider nicht korrekt ausgerüstet - und meinen schon leicht angeschwitzten Pullover wollte sie sicher nicht haben.
"Darf ich den Arm um dich legen, um dich zu wärmen?"
Shara zögerte, nickte dann aber und rutschte näher. Ich zog sie an mich - Gott, sie war wirklich schmal, mein Arm ging einmal ganz um sie herum.
"Hast du schon mal gehört, dass jemand so etwas kann? Das Heilen, meine ich?"
Sag ja, forderte ihre leise Stimme, aber ich musste den Kopf schütteln, wenn die Devise weiterhin Ehrlichkeit heißen sollte. "Nein. Früher wurde mit Wunderheilung viel Hokuspokus gemacht - aber das war eine Zirkusnummer, totaler Betrug. Das hier ist echt, oder?"
Ich drückte sie ein wenig mehr an mich - wirklich kein schlechtes Gefühl. Ihre Haare rochen immer noch nach Honig und kitzelten mich an der Wange.
"Ja, leider", beantwortete sie nach einer Weile meine Frage, "aber ich hab keine Ahnung, wie weit das geht. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Angst bekomme ich. Vielleicht geht das auch mit größeren Verletzungen oder mit schweren Krankheiten? Und wenn das funktioniert, wenn ich damit wirklich Menschen helfen kann - wie soll ich entscheiden, wem ich helfe und wem nicht?"
He, immer langsam mit den jungen Pferden, hätte ich fast gesagt: Mir ging das ein bisschen zu schnell und auch zu weit. Okay, mein Kronenkorkenkratzer war weg, aber einen Sterbenden hatte ich Shara bislang noch nicht ins Leben zurückholen sehen. Allerdings hatte sie die ganze Nacht Zeit gehabt, um über ihre neue Fähigkeit nachzudenken: Dass einem da ganz schön wirres Zeug durch den Kopf spukte, konnte ich mir lebhaft vorstellen - vor allem, wenn Jack auch noch mit darauf rumdachte.
"Hast du schon mit Andreas und Ciaran gesprochen?"
"Gestern Abend, ja - aber da waren wir alle noch etwas überrumpelt. Sie warten bestimmt schon auf mich."
Das erklärte, warum Shara lieber hier auf der feuchten, kalten Bank hockte, als mit mir zum Auto zurückzulaufen. Diese Erkenntnis gab mir einen leichten Stich - ich Trottel hatte doch tatsächlich kurz geglaubt, sie erhoffe sich was von diesem Gespräch!
Shara drehte den Kopf und sah mich aus ihren ungewohnt nahen Augen an. "Was würdest du tun, wenn du so was könntest - jemand anderen heilen?"
Vielleicht interessierte sie ja doch, was ich dachte - allerdings war das nicht hilfreich, denn zu diesem Thema dachte ich ... nichts.
"Das solltest du lieber mit Andreas und Ciaran besprechen, oder meinetwegen mit Jack. Ich bin in solchen ... moralischen Sachen nicht so gut."
"Moralisch?" Sie krauste die Nase. "Ich will keine Moral. Ich will nur wissen, was du an meiner Stelle tun würdest."
"Okay. Was sind die Alternativen?" Ich spielte ja gern mit, aber ein bisschen Nachhilfe war auch nicht schlecht - Shara hatte immerhin eine ganze Nacht Vorsprung.
"Hier bleiben und mehr darüber heraus finden und dann mit diesem Wissen leben - oder gehen, nicht mehr darüber nachdenken und dann mit diesem Nichtwissen leben."
Ich trank noch einen Schluck Wasser und dachte nach.
"Ich denke, ich würde bleiben und es herausfinden wollen. Du kannst ja auch dann noch gehen - aber nur, wenn du weißt, was du kannst, kannst du entscheiden, was du damit machen willst. Und vergiss Drake nicht - so einfach weg und vergessen ist nicht drin."
Shara lächelte und nahm mir die Wasserflasche aus der Hand.
"Gute Antwort - die von Jackson war übrigens ganz ähnlich. Er meinte, die wichtigere Entscheidung wäre die zwischen der Anwendung und der Nichtanwendung, nicht zwischen Wissen und Nichtwissen."
Ich musste lachen. "Hat er nicht noch ein paar schicke Fremdwörter eingebaut?"
Shara rammte mir einen spitzen Ellbogen in die Seite und kicherte. Ich knuffte zurück, zog sie dann wieder näher und schnupperte noch einmal an ihren Haaren.
"Und was ist deine Antwort?"
Ich spürte mehr als sich sah, wie sie mit den Schultern zuckte.
"Ich denke, dass die Frage danach, was ich kann, hier eigentlich gar nicht die Wichtigste ist, auch wenn ihre Beantwortung oberste
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