Die Ewigen
nickte bedächtig, ließ ihn wissen, dass er zielsicher die mit Abstand finsterste Geschichte aus dem ganzen Buch herausgepickt habe, und bat ihn, doch meine Hand zu halten, damit ich beim Lesen vor lauter Angst nicht ins Stocken käme. Roberto legte ohne zu zögern seine wabbelig-weiche und leicht klebrige Hand in meine Rechte, ich spürte sofort das nun schon bekannte Kribbeln unter der Haut und machte mich an meinen Vortrag.
Die Geschichte war hübsch und ich gab mir Mühe, die Dialoge mit verstellter Stimme und die spannenden Stellen mit ein wenig verzögernder Dramatik vorzutragen. Die Geschichten in Ciarans Buch waren alle etwa gleich lang, und wenn man sie mit ein wenig Huibuh ausschmückte, dauerte es wohl etwa fünfzehn Minuten, sie vorzutragen. Roberto war ein dankbarer Zuhörer, riss an den richtigen Stellen die kleinen Augen auf und hielt dem Atem an. Ich spürte Jacksons Bein leicht an meinem - ein beruhigender Druck, von dem mich aber zunehmend meine rechte Hand ablenkte: Aus dem leichten Kribbeln unter der Haut wurde nach wenigen Minuten ein pochendes Stechen, das sich nach und nach erst auf die Hand, dann auf den ganzen Arm ausdehnte, und schließlich einem unangenehm tauben, toten Gefühl wich. Während wir der kleinen Heldin der Geschichte durch ein verwunschenes Haus folgten, begannen die Buchstaben vor meinen Augen zu tanzen, und ich musste mich mit ganzer Kraft auf die Seite, die Sätze, die korrekte Abfolge der Wörter und schließlich die der Buchstaben konzentrieren, während leichte Nebelschleier irritierend durch meinen Kopf waberten. Ich verrutschte in der Zeile, flocht den vorausgegangenen Satz noch halbwegs verständlich nach dem Folgenden ein, und ließ mich dann von meinem Magen ablenken, der zunehmend flauer wurde - ich fühlte mich jetzt wie seekrank, prickelnde Schweißperlen traten mir auf die Stirn.
"Ich bin dran", sagte Jackson, als ich mir bald darauf mit der Linken über die nasse Stirn wischte und schon wieder einen Satz verbockte, er nahm mir das Buch aus der Hand und rückte ein wenig näher. "Halt ihre Hand weiter fest, Roberto, das ist wohl nichts für Mädchen", sagte er mit einem Zwinkern zu dem Jungen, dann fuhr er mit der Geschichte fort.
Ich dankte Jackson stumm, konnte ich mich doch so auf das Wesentlichste konzentrieren, nämlich nicht ohnmächtig zu werden oder mich gleich hier und jetzt zu übergeben: Die Nebel verdichteten sich zu einem dumpf wummernden Kopfschmerz, mein Magen war eine einzige Revolte. Flach atmen, immer durch die Nase - das reduzierte den unerträglichen Würgereiz ein bisschen und hielt die Nebelschleier auf Abstand. Die Minuten zogen sich unendlich, und ich war bald viel zu benommen, um mitzukriegen, wie weit wir uns dem Ende der Geschichte näherten. Einatmen und ausatmen, an etwas Klares, Kaltes und Frisches denken, den Magen unter Kontrolle halten, möglichst nicht Schlucken. Erschöpft ließ ich den Kopf nach vorn sinken und schloss die Augen, ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, meine Speiseröhre begann zu brennen: Großer Gott, noch eine Minute und ich würde unweigerlich kotzen, in diesem Krankenzimmer, vor diesem Kind! Ich atmete hektisch ein, dachte 'Nein! Nein! Nein!', dachte 'Bitte nicht!' - und in genau diesem Moment packte mich Jackson am Arm und zog mich hoch. Waren wir fertig oder befürchtete er nur (zu Recht!), ich würde gleich vom Stuhl fallen? Es war mir egal, er war meine Rettung, so oder so. Jackson fasste mich fest um die Taille und schleppte mich auf meinen wackeligen Beinen zur Tür. Ich wollte mich an ihm festhalten, doch mein rechter Arm versagte mir komplett den Dienst, hing wie tot an mir herunter, und um den linken zu heben, fehlte mir die Kraft in meinem ausgepressten Körper.
"Toilette", stieß ich hervor, Jackson zog mich bestimmt und zügig den Gang hinunter.
Nach ein paar Metern wurde ich auch von der anderen Seite unter der Achsel gepackt und hörte Jacksons Stimme durch den dicken, viel zu warmen Dunst, der mich jetzt würgen ließ.
"Ihr ist schlecht", sagte er völlig richtig, Ciarans kühle Hand zog mich daraufhin nachdrücklich nach links.
Eine Tür, ein Raum, noch eine Tür - unsere Schritte hallten auf gefliestem Boden, und ich öffnete die Augen. Schweiß brannte darin und zwang mich zum Blinzeln, doch ich erkannte ganz deutlich die ersehnte Toilette.
"Raus", stieß ich hervor, doch die stützenden Arme wichen nicht.
"Geht raus, verdammt! Beide!"
Ciaran legte meine
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