Die Ewigen
Kurz darauf klingelte Jacksons Handy, weil der Kurierfahrer mit dem bestellten Rad vor dem Tor stand, und die Runde löste sich auf: Die Jungs verschwanden wieder in der Werkstatt, Davide ging mit kaum merklichem Humpeln zum Haupteingang, um sich wegen der Fäden bei Ciaran zu melden, Josie und ich ignorierten die Überreste des Picknicks in bester königlicher Manier und legten uns für den Rest des Nachmittags auf unseren Liegen schlafen, diesmal wirklich.
Als ich wieder wach wurde, war es schon kühler und zeigte der Himmel schon einen leichten Anflug von vorabendlichem Rot. Ich war von der vielen Sonne angenehm benebelt und winkte Davide zu, der gerade auf den Beifahrersitz des Pickup kletterte, auf dessen Ladefläche Magnus und Jackson das wie neu blitzende Motorrad hoben, dann räumten Josie und ich die Überreste unseres Picknicks weg, sie fasste sogar ohne Murren bei den Liegen an. Hier in den Bergen kam die Dämmerung schnell - und so war es schon fast dunkel, als alles aufgeräumt war und ich auf mein Zimmer ging. Jackson kam kurz darauf ebenfalls hoch, und so musste ich nicht allein auf den nächsten Morgen, auf diesen so gefürchteten Tag warten: Eingehüllt in Jacksons Schlafanzughemd und seinen zimtigen Duft schlief ich sogar ein paar Stunden tief und fest.
2.6 Shara Wie vorgestern von Ciaran angekündigt, fanden wir unseren ersten Patienten im Kinderkrankenhaus Bozen.
Ciaran schien sich gut in den sterilen, gleichförmigen Korridoren auszukennen, und lotste mich und Jackson zielsicher an einer burschikosen Oberschwester vorbei in ein kleines, freundliches Einbettzimmer.
Mein erster Fall sollte ein kleiner Junge sein - allerdings bezog sich die Angabe 'klein' wohl nur auf sein Alter. Ich schätze ihn auf sieben oder acht Jahre, aber das war schwer zu erkennen: Der Kleine war so schrecklich dick, dass unter seinen üppig angehäuften Fleisch- und Fettmassen auch ein schmächtiger Zehnjähriger hätte stecken können. Pralle Pausbacken, ein solides Doppelkinn, knubbelige Arme und rundliche Beine, dicke Patschehände - und nichts davon mehr von der putzig-niedlichen Art, wie ich sie bei den Engelchen auf den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle bewundert hatte. Sein linkes Bein war geschient und in einem Gestell fixiert, ansonsten sah er ganz munter aus.
Am Bett des Jungen saß ein Wal von einer Frau: Sie floss über den Stuhl, sprengte mit ihrem enormen Busen sicherlich jedwede handelsübliche Büstenhaltergröße, brachte mit ihrem Bauch die Spannkraft von Stoff und Knöpfen ihrer wild geblümten Bluse an die Belastungsgrenze und übertrumpfte ihren Sohn mit einem Dreifachkinn, einem Damenbart sowie geschwollenen Füßen. Sie stopfte gerade mit beiden Händen Schokolade in den Nachttisch, als wir das Zimmer betraten - wahrscheinlich, damit der kleine Koloss trotz der mageren Kost im Krankenhaus bei Kräften blieb.
Der Junge laboriere an einem offenen Beinbruch herum, hatte Ciaran mir erklärt, der Bruch sei zwar innen wie außen versorgt, die Wunde entzünde sich aber ständig wieder, weil seine Abwehrkräfte zu schlecht seien. Ich hatte bei diesen Worten an ein ausgemergeltes, großäugiges Kind gedacht, das vor Schwäche kaum die Hand heben konnte, und war jetzt sehr erleichtert: Der Junge wirkte fröhlich und sah uns aus seinen Schweinsäuglein interessiert an, als wir zu dritt in sein Zimmer marschierten - er fühlte sich im weichen Bett mit Fernseher und Schokolade in Reichweite sichtlich pudelwohl. Ciaran stellte mich und Jackson mit knappen Worten als Studenten vor, die ehrenamtlich auf der Kinderstation für die Unterhaltung der lieben Kleinen sorgten, und entführte die Mutter samt ihrer voluminösen Schokoladentasche zu Kaffee, Kuchen und einem hoffentlich ernährungswissenschaftlichen Gespräch in die Cafeteria.
Jackson zog sich einen zweiten Stuhl ans Bett, ich ließ mich auf dem nieder, den der Mutterwal schon auf Standfestigkeit überprüft hatte, und bedachte den Jungen mit einem hoffentlich einigermaßen selbstsicheren Lächeln. Ich hatte ein dickes Buch mit spannenden bis gruseligen Kindergeschichten für die Altersgruppe von sechs bis zwölf dabei, das Ciaran irgendwo hergezaubert hatte, und ließ Roberto jetzt anhand der Titel eine auswählen. Er schwankte zwischen 'Drei Geister im Kühlschrank' (wer hätte das gedacht!) und 'Der Kopf ohne Körper', entschied sich dann für Letztere: Wahrscheinlich hatte er Angst, die erste Geschichte könne ihm den Appetit verderben. Ich
Weitere Kostenlose Bücher