Die Ewigen
gegen halb vier - Wahnsinn, nur zwei Stunden: Da hatte sie sich ja mal so richtig beeilt. Es bestand aus der Rückseite des Stilberatungsbuches mit dem erwähnten Foto von Blondie sowie dem Klappentext, in Letzterem wurde in knappen Worten das Leben der Autorin umrissen.
Gemeinsam beugten Jo, Jack und ich uns über Bild und Text: Sarah von Ihlbeck, war dort zu lesen, habe Journalismus studiert und lebe nun mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem treuen Golden Retriever in der Nähe von Hamburg. Dort widme sie sich nicht nur ihrer Berufung, dem Schreiben von äußerst feinfühligen Frauenratgebern, sondern auch ihrer Leidenschaft, dem Gärtnern. Ein Alter war nicht angegeben, aber das Foto zeigte eindeutig unser Blondie. Die Haare waren länger als jetzt, hingen ihr glatt auf den Rücken hinunter, sie saß an einem Schreibtisch, hinter sich ein modernes Gemälde aus Klecksen, neben sich einen Strauß Blumen, in der Hand einen Füllfederhalter. Sie lächelte milde und sah um einiges älter aus als in echt.
"Wo ist denn der Ehemann?", fragte ich, auch Jack runzelte bei fortschreitender Lektüre die Stirn. "Bewacht Tochter, Hund und Garten daheim im schönen Hamburg?"
Unwahrscheinlich, beantwortete ich mir meine Frage selber, während Jack und Jo mit Kopfschütteln sagten, dass auch sie das nicht für naheliegend hielten: Meist traten glückliche junge Familien auch im Urlaub demonstrativ als solche auf. Vielleicht hatten sie sich ja verkracht und Herr Von und Zu saß schmollend im Hotel? Auch unwahrscheinlich, die wenigsten Frauen ließen Kind und Hund in solchen Situationen beim Gatten.
"Hat sie einen Ehering?", fragte Jo, Jack schüttelte bestimmt den Kopf.
"Kein Ring. Keine Fotos von Kind, Hund oder Ehemann in ihrer Brieftasche. Das passt alles nicht zusammen."
Wir schwiegen, ich betrachtete Blondies Foto: Es war natürlich Schwarz-Weiß, ein wenig unscharf - aber trotzdem, wirklich eine enorme Ähnlichkeit.
"Schwestern? Zwillinge?"
"Nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich. Ich rufe Shane an - das hätte ich schon längst machen sollen."
Gute Idee, dachte ich, pass nur auf, dass nicht Josie an sein Handy geht, dann bist du dran. Jack hatte Glück, erwischte Shane direkt und gab ihm den Namen durch, dann lauschten wir fünf Minuten lang dem von immer größeren Pausen durchsetzten Geklapper einer Tastatur.
"Es gibt keine Sarah von Ihlbek - weder in oder um Hamburg, auch nicht im restlichen Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Die Suche für ganz Europa läuft noch, ich dehne auch gern noch weiter aus - aber wenn sie unter diesem Namen schreibt, tippe ich auf ein nicht als Künstlername eingetragenes Pseudonym."
Na super, dachte ich: Damit haben wir nach zwei Stunden genau so viel in der Hand wie zuvor – nichts.
Shara
Gegen vier Uhr bat ich um eine Pause. Ciaran zeigte mir ein kleines Bad in der Nähe der Bibliothek, ich war dankbar für das frische Wasser aus dem Hahn und ein paar Minuten allein.
Andreas' Geschichte war ebenso spannend wie absurd gewesen, aber während ich Fragen stellte und den Antworten lauschte, hatte ich kaum die Chance, einen klaren Gedanken zu fassen über die Dinge, die ich da hörte. Aber war es nicht genau das, dachte ich, während ich mir das langsam kälter werdende Wasser über die Handgelenke laufen ließ: Eine Geschichte, eine Legende? Ich hatte in Andreas' und Ciarans Worten genug Gefühl gefunden, um mir sicher zu sein, dass sie fest an diese Legende glaubten - aber ich konnte doch wohl kaum den Glauben eines anderen als Beweis für die Wahrheit derselben nehmen? Irgendeinen Beleg, irgendetwas Greifbares brauchte ich einfach, denn wie Ciaran schon gesagt hatte: Sie erhofften sich mehr von mir, als nur offene Ohren für eine alte Geschichte. Sie wollten unzweifelhaft, dass ich länger oder gar für immer bei ihnen blieb, dass ich nicht nur weiter zuhörte, sondern natürlich auch, dass ich etwas tat, dass ich leitete, herrschte - und das Ganze zudem mit diesem 'Aufbruch in eine bessere Welt'-Anspruch.
Nun, einerseits war eine solche wertschätzende Aufmerksamkeit schmeichelhaft, andererseits wusste ich noch gar nicht, was genau mich erwartete, und (wichtiger!) was genau man von mir erwartete. Die Frage, ob ich diesen ihren Ansprüchen jemals würde genügen können, verbannte ich lieber mal ganz weit nach hinten, hegte ich daran doch enorme und vor allem begründete Zweifel. Nein, für eine Entscheidung war es jetzt noch viel zu früh, dafür hatte ich einfach
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