Die Ewigen
Jack wollte sich losreißen, also drehte ich ihm im Polizeigriff den Arm auf den Rücken und drückte ihm mit der anderen Hand den Kopf nach vorn, zog ihn ein paar Schritte zurück.
"Jack, hör auf! Willst du, dass sie stirbt?"
Er erstarrte, als ich das böse Wort ausgesprochen hatte, atmete schwer ein und hielt dann still.
"Nein, natürlich nicht", sagte er tonlos, ich ließ seinen Kopf los und fasste den Arm lockerer, aber loslassen würde ich ihn noch nicht.
Gemeinsam starrten wir auf Ciaran, der den Dolch untersuchte und die Wunde abtastete, dann auf Andreas, der flüsternd Fragen stellte, wieder zu Ciaran und seinen ebenso unverständlichen Antworten.
Sharas weißes Shirt war vom Blut durchtränkt, es war über ihren Bauch auf den Boden getropft und bildete dort eine klebrig aussehende, kleine Lache. Wie viel Blut war das? Viel? Oder nicht viel? Konnte man das überleben? Ein kleiner Tropfen glitzerte schwärzlich in ihrem Mundwinkel - mir wurde nicht leicht schlecht beim Anblick von Blut, aber dieses Bild fraß sich durch meine Eingeweide, ängstigte mich, weckte Mitleid und eine viel zu frühe Trauer.
Jack sah nicht besser aus als Shara: Sein Hals und sein Pullover waren rot verschmiert, sein Handgelenk fühlte sich feucht an, und ich wusste, dass ich da Sharas Blut unter meinen Fingern zerquetschte. Ich fühlte mich plötzlich so ohnmächtig, wie noch nie zuvor und eine kalte Wut stieg in mir hoch - Jack schnappte nach Luft, als ich in meinem Grimm seinen Arm unvermittelt fester packte. Ich gab ein bisschen nach, flüsterte eine ungehörte Entschuldigung und sah erneut zu Andreas und Ciaran - ich ahnte, was jetzt anstand, und auch Jack versteifte sich, als Bewegung in die kleine Gruppe auf dem Boden kam.
Ciaran kniete sich hinter Shara und zog sie etwas hoch, sie war immer noch bewusstlos, hing wie tot in seinen Armen. Andreas trat von vorn an sie heran, legte ihr eine Hand auf die Schulter, die andere umfasste den Griff des Dolchs. Ich packte vorsichtshalber wieder in Jacks Haare, als Andreas die Waffe mit ganzer Kraft aus ihrem sich ruckartig aufbäumenden Körper zog - Shara schrie, Jack schrie, ihrer beider Stimmen vereinigten sich in der hohen Kuppel zu einem einzigen Klagelaut und hallten dort als schier endloses Echo wieder. Den Dolch rauszuziehen und umzudrehen war eine einzige, gleitende Bewegung, als hätte Andreas sie zuvor geübt. Shara war jetzt bei Bewusstsein, erweckt von dem Schmerz, den die brutale Entfernung der Klinge bedeutet haben musste, mit weit aufgerissenen Augen starrte sie hoch zu dem über ihr schwebenden Dolch in Andreas' Hand. Ihr Kopf folgte der Bewegung, als die Waffe nur Sekunden später herabsauste und ein zweites Mal zustieß - Fassungslosigkeit in ihren großen Augen, ein bisschen Empörung auch. Diesmal schrie Shara nicht - ihr Kopf klappte einfach nach hinten weg, und ich war mir sicher, dass sie tot war, dass Andreas sie erstochen, sie umgebracht hatte. Jack sank kraftlos in die Knie und ich ließ ihn los: Jetzt brauchte er einen höheren Beistand als mich, wenn er die Hoffnung nicht verlieren wollte.
1.6 Shara
Ich wurde nicht schlagartig wach, vielmehr sickerten immer mehr vereinzelte Wahrnehmungen in meinen Kopf, bis ich schließlich widerstrebend die Augen aufschlug, um sie alle miteinander in Einklang zu bringen.
An Geräuschen gab es als Deutlichstes ein leises, regelmäßiges Piepsen, außerdem atmete jemand gedämpft, ab und zu knisterte Papier, raschelte Stoff. Die Luft war angenehm warm und roch ein bisschen nach Desinfektionsmittel, aber auch einen leicht unangenehmen, metallisch-organischen Duft machte ich aus. Ich lag auf einer weichen Unterlage, auf meiner Haut fühlte ich kühlen Stoff - steif und fest, wie stark gestärkt. Ich hatte einen entsetzlich trockenen Hals, Kopfschmerzen, ein Pieken in der linken Hand und ein Pochen in der Brust, das überraschende, aber nicht unerträgliche Wellen des Schmerzes durch meinen Körper schickte. Meine Augen wehrten sich gegen das Öffnen, sie fühlten sich geschwollen und verklebt an, doch schließlich erblinzelte ich mildes Licht in einem kahlen Raum, einem Krankenzimmer: weiße Wände, geschlossene Jalousien vor den Fenstern, eine offen stehende Tür zu einem Bad, ein paar Schränke in der einen, ein Sofa in der anderen Ecke. Das Piepsen kam von einem Gerät links neben mir, das Atmen und Papierrascheln von Josie, die auf einem Stuhl neben meinem Bett saß und las. Als ich den Kopf in ihre Richtung
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