Die facebook-Falle
voraus. Dem steht der Egoismus der menschlichen Natur entgegen.« Schließlich meldet sich Kant zu Wort. Er glaubt, dass es nur zwei Triebfedern für den Menschen gebe, die Selbstliebe und die Menschenliebe: »Dieses ist die Idee der Freundschaft, wo die Selbstliebe verschlungen ist in der Idee der großmütigen Wechselliebe. Die allgemeine Freundschaft ist, ein Menschenfreund überhaupt zu sein, aber jedermanns Freund zu sein, das geht nicht an, denn wer ein Freund von allen ist, hat keinen besonderen Freund.«
Wir sehen: Freundschaft war schon immer ein höchst umstrittener und dehnbarer Begriff. Wenn überhaupt, ist sie ein sehr exklusives Gefühl, das wenige Menschen mit wenigen teilen. Unsere Philosophen würden heutzutage energisch bestreiten, dass Facebook-Freunde echte Freunde sind – denn dafür sind es entschieden zu viele. Eingedenk dessen, was sie zu dem Thema zu sagen hatten, müssen wir uns auch fragen, ob wir uns von diesen »Freundschaften« wirklich einen Nutzen versprechen, oder ob diese Freunde uns bloß die Zeit vertreiben. In letzterem Falle
wären wir Entertainer auf Gegenseitigkeit und keine Freunde im strengen Sinne.
Die Berliner Studentin der Kommunikationswissenschaft Sarah Weinknecht hat 498 »Freunde« auf Facebook, würde aber entschieden bestreiten, dass sie alle »echte« Freunde sind: »Der Facebook-Begriff ist nur ein Synonym, ich ziehe es vor, von ›Facebook-Freund‹ oder ›Friend‹ zu sprechen.« Natürlich sind unter den 498 Menschen auch ihre wahren Freunde. Außerdem ihr Bruder, ihre Eltern und sogar ihre 87-jährige Oma.
Auf die Frage, wer denn ihre wirklichen Freunde seien, muss sie einen Augenblick überlegen: »Freunde, das sind vielleicht zwanzig Leute aus meiner Kindheit, die ich immer noch treffe, eine Freundin aus Kanada und alle, die ich zu meinem Geburtstag einlade, das sind auf jeden Fall meine Freunde.« Die machen aber nur einen Bruchteil von Sarah Weinknechts 498 »Facebook-Freunden« aus.
Die US-amerikanischen Forscher Nicholas A. Christakis und James H. Fowler untersuchten an einer Universität, wie viele »echte« Freunde es auf Facebook gibt. 265 Sie gingen davon aus, dass Facebook-Mitglieder, die Fotos anderer Mitglieder in ihren digitalen Fotoalben veröffentlichen, diesen auch menschlich näher stehen. Nachdem sie 140 Facebook-Acounts untersucht hatten, kamen sie zu dem Ergebnis, dass jedes Mitglied 6,6 echte Freunde hat, denen im Schnitt 130 »Facebook-Freunde« gegenüberstehen. 266
Ein Facebook-Freund ist ein Zehntel Whopper wert
Ist Freundschaft auf Facebook womöglich nur ein Marketing-Gag? Davon muss zumindest die Fast-Food-Kette Burger King ausgegangen sein, die im Jahr 2009 auf Facebook die Aktion »Whopper Sacrifice« startete: Wer zehn Freunde löschte, erhielt dafür einen Whopper. Der Frikadellenbrater hat der Facebook-Freundschaft damit einen realen Marktwert verschafft: Ein Freund ist ein Zehntel Whopper wert. Es geht also nicht um das, was Menschen seit Jahrtausenden als Freundschaft bezeichnen.
Allerdings nimmt auch kaum ein Facebook-Nutzer den Freundesbegriff von Facebook für bare Münze. Allenfalls im ersten Augenblick der Anmeldung steht für viele die Suche nach »echten« Freunden im Zentrum. Dass wir uns im Laufe unserer Facebook-Karriere mit immer mehr »falschen« Freunden umgeben, hat das Unternehmen geschickt eingefädelt – indem es uns einen Haufen Werkzeuge zur »Freundessuche« anbietet und nicht vergisst, uns dauernd daran zu erinnern, dass da draußen noch jede Menge weiterer »Freunde« auf uns warten. Die Legende von der »Freunde«-Suchmaschine ist also schnell enttarnt.
Anders als uns das Facebook-Marketing suggeriert, sind umgekehrt wir es, die dem Unternehmen einen Freundschaftsdienst erweisen. Denn wir liefern dem Facebook-Konzern doch freiwillig eine Fülle persönlicher Daten über das, was uns interessiert, und obendrein automatisch die Daten über unsere sozialen Kontakte. Und mit Hilfe dieses digitalisierten Beziehungsgeflechts kann die Firma dauerhaft viel Geld mit uns verdienen.
Wie aber gelingt es einem kommerziellen Unternehmen, sich auf so elegante Weise in unser Leben zu schleichen? Was treibt Hunderte Millionen Menschen in dieses soziale Netzwerk? Die Verheißung von Freundschaft mag gut für die Marke Facebook sein, sie allein erklärt aber kaum den kometenhaften Aufstieg dieses digitalen Imperiums.
30 Tage offline – ein Experiment über die Sucht
Die Schweizer Agentur Rod Kommunikation
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