Die facebook-Falle
Überraschend ist zudem die Vitalität dieser Gegenbewegung. So startete am 1. Mai 2010 die Facebook-Gruppe »Kein Facebook für Nazis«, und schon nach vier Tagen hatten 100 000 Facebook-Mitglieder per Klick ihre Unterstützung dokumentiert. Im August waren es bereits 375 000. Die Initiative möchte Druck auf das Unternehmen Facebook ausüben, die offizielle Seite der NPD zu löschen. Darüber hinaus verabreden die Initiatoren, die NPD-Seite möglichst mit unsinnigen Inhalten »zuzustopfen«. 255
Die Aktivitäten von Volksverhetzern und Gewalttätern im Netz ausbremsen können solche Initiativen aber nur, wenn die kommerziell orientierten Netzwerke auch bereit sind, sie zu unterstützen. Im Jahr 2010 startete Simone Rafael mit ihren Kollegen eine neue Initiative unter dem Motto: »Soziale Netzwerke gegen Nazis«. 57 Netzwerke, darunter alle einschlägigen deutschen Netzwerke, aber auch Stay-Friends, MySpace und YouTube, traten ihr bei. Facebook macht vorerst nicht mit, wenngleich ein Facebook-Sprecher die Initiative gegenüber dem Handelsblatt begrüßte: »Wir freuen uns auf eine Kooperation in der Zukunft. Momentan ist unser Unternehmen in Deutschland allerdings noch im Aufbau.« 256 Facebook, so hat es das Handelsblatt treffend formuliert, »verschiebt den Kampf gegen rechts«. Damit deutet das Unternehmen an, in der Zukunft möglicherweise von seiner bisherigen Haltung abzurücken.
Dass üble Gestalten aus der realen Welt das digitale Netzwerk Facebook missbrauchen, hat auch in der Unternehmenszentrale von Facebook für Gesprächsstoff gesorgt. Im Jahr 2009 wurde intern darüber diskutiert, wie man mit den vielen rechtsextremistischen US-Seiten, auf denen der
Holocaust geleugnet wird, umgehen soll. Ezra Callahan aus der PR-Abteilung, und übrigens jüdischer Abstammung, argumentierte für die Duldung solcher Einträge: »Wir bekämpfen die Ignoranz nicht, indem wir vertuschen, dass es Ignoranz gibt. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, und Facebook macht diese Welt nicht besser, indem es ihre Gedankenpolizei wird.« 257
Diese respektable Äußerung verweist zurück auf die Ausgangsfrage dieses Kapitels: Gelingt es Facebook, die Welt offener und damit besser zu machen? Sicher ist: Holocaust-Leugner gibt es trotz Facebook, aber es gäbe sie auch ohne Facebook. Kinderporno-Ringe und globale Massenbetrüger allerdings haben es in der digitalen Welt leichter als jemals zuvor. Die Parole von der »besseren Welt«, die Mark Zuckerberg und andere Vertreter des Unternehmens ständig im Munde führen, geht an der Wirklichkeit vorbei: Facebook macht die Welt nicht besser.
KAPITEL 7
Wir sind bald eine Milliarde Freunde
Warum uns das Facebook-Experiment mit der Freundschaft magisch anzieht und wie daraus eine Welt-Datenbank entsteht, die alles andere als freundlich ist
Ein Buch über Facebook ist zwangsläufig auch ein Buch über Freundschaft und Liebe, denn die Freundschaft ist der »Markenkern« des US-Unternehmens. Daher beginnt dieses Kapitel mit einer Hochzeit im US-Bundesstaat Maryland: Die Braut heißt Tracy. Sie trägt ein tief ausgeschnittenes weißes Brautkleid und einen Schleier um ihr schwarzes Haar, der Bräutigam Dana einen schwarzen Anzug mit einem Blumensträußchen am Revers. Der Pfarrer ist ein ziemlich junger Bursche, der sagt, was er zu solchen Gelegenheiten immer sagt: »Dana und Tracy, ihr habt euch nun dieses Versprechen gegeben im Angesicht dieser Zeugen hier und – wichtiger noch – im Angesicht des allmächtigen Gottes. Daher erkläre ich euch nun zu Mann und Frau. Was Gott zusammengeführt hat, soll der Mensch nicht
trennen.« Die versammelte Hochzeitsgesellschaft wartet nun auf den Kuss, aber der Informatiker Dana Hanna kramt in seinem Sakko und fingert ein Smartphone heraus. Er beginnt zu tippen. »Oh, ich sehe, Dana ändert erst seinen Beziehungsstatus auf Facebook«, sagt der Pfarrer. Die Gemeinde bricht in schallendes Gelächter aus. Nachdem er seinen Beziehungsstatus geändert hat, schreibt Dana noch schnell auf Twitter: »Stehen am Altar, wo @TracyPage vor einer Sekunde meine Frau wurde! Muss jetzt los, Zeit, die Braut zu küssen. Hochzeitstag.« 258 Dana gibt nun auch Tracy ihr Mobiltelefon, die ganz in Ruhe zu tippen beginnt. Die Zeremonie verzögert sich also, aber eine gute Minute später steckt Dana die Handys wieder ein. Der Pfarrer fährt fort: »So, ich war gerade dabei, euch zu Mann und Frau zu erklären, und das ist ja jetzt auch offiziell auf Facebook, und es ist
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