Die Fackel der Freiheit
»Aber ich vertraue dir voll und ganz, Schatz.«
Es klang, als ersticke Thandi. Der Blick, den sie Yana zuwarf, bestand aus einem Teil Warnung und zehn Teilen aufrichtiger Belustigung.
Und selbst dieser ›eine Teil Warnung‹, das wusste Anton, war nur eine Art unbewusster Reflex. Er war sich sicher, Palane mache sich wirklich keine Sorgen, Victor könne ›auf Abwege‹ geraten, während er Wochen oder vielleicht sogar Monate so dicht in Yanas Nähe bliebe, sogar das Bett mit ihr teilte.
Bei jedem anderen Mann hätte sich Thandi durchaus Sorgen gemacht. Aber eine der Tarngeschichten, die Victor jahrelang hatte aufrechterhalten müssen, bestand in der Vorspiegelung, er und Ginny Usher seien heimlich ein Liebespaar gewesen und hätten die ganze Zeit über Ginnys deutlich älterem und sehr törichtem, nichtsahnendem Gatten Hörner aufgesetzt. Dieser Tarnung hatten sie sich sehr häufig bedient, manchmal auch über einen längeren Zeitraum hinweg, und fast immer hatten sie dafür in einem gemeinsamen Bett geschlafen.
Yana war zweifellos eine attraktive Frau. Aber was die reine Schönheit und die erotische Ausstrahlung betraf, konnte sie es nicht einmal ansatzweise mit Ginny Usher aufnehmen. Das wiederum war auch kaum verwunderlich, denn Yanas Genom war so gestaltet worden, dass sie eine perfekte Soldatin abgab, während Ginny als Lustsklavin gezüchtet worden war. Wenn Victor es fertigbrachte, über Monate hinweg mit Ginny Usher in einem Bett zu schlafen, ohne dass auch nur das Geringste passierte, dann, davon war Thandi durchaus überzeugt, brachte er das gleiche Kunststück auch bei Yana fertig. Die Selbstbeherrschung dieses Mannes war beinahe schon übermenschlich.
Außer, wenn er von Frauen aufgezogen wurde. In diesem Fall war Victor oft immer noch genauso verletzlich wie damals, als er vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen war. Wieder musste sich Anton ein Grinsen verkneifen, als er sah, dass Victor angesichts von Yanas Bemerkung allen Ernstes errötete.
Hastig fuhr Cachat fort. »Dass es so schwierig ist, irgendetwas über mich aufzuspüren, bedeutet Folgendes: Wenn Mesa das tatsächlich zuwege gebracht hat - und davon müssen wir ausgehen -, dann werden diese Informationen streng geheim gehalten und ausschließlich den obersten Reihen ihrer Sicherheitskräfte zugänglich sein. Zumindest solange, bis sie einen Grund haben anzunehmen, ich müsse vorrangig behandelt werden - und für diese Annahme sehe ich derzeit keinen Anlass. Noch nicht, zumindest. Darüber hinaus ...«
Er und Zilwicki tauschten Blicke aus. »Es gibt da etwas, das ich mit Anton bereits ausführlich besprochen habe. Die mesanische Gesellschaft, wie sauber organisiert sie auch sein mag und was für ein Geheimbund sie letztendlich auch regiert, muss eine gewaltige, dreckige Schattenseite haben. Es ist einfach unmöglich, dass eine Gesellschaft mit derart brutalen und elitären Grundbedingungen so viele Jahrhunderte lang aktiv sein kann, ohne dass eine derartige Schattenseite entsteht - und deswegen ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Elite von Mesa nur sehr wenig darüber weiß. Zum Teil, weil sie es einfach nicht wissen kann, zum anderen, weil sie es auch gar nicht wissen will.«
Ruth blickte immer noch skeptisch drein. Berry hingegen schaute zu Du Havel hinüber. Sie verstand, ungleich besser als Ruth, dass sich bei derartigen Dingen die Wahrheit deutlich häufiger in historisch geprägten Mustern erkennen ließ als in den Feinheiten geheimdienstlicher Tätigkeiten.
»Ich muss den beiden zustimmen«, sagte Du Havel. »Tatsächlich könnte ich, wenn wir die Zeit dafür hätten und Sie über das erforderliche mathematische Rüstzeug verfügen würden, sogar belegen, dass Victors und Antons Lageabschätzung gewiss zutreffend ist. Die einzige wirkliche Variable, die wir hier im Auge behalten müssen, ist einfach nur, wie zutreffend sie ist. Oder anders ausgedrückt: Wie groß und wie dreckig ist diese Schattenseite? Aber dass eine solche existiert, ist schlichtweg eine Tatsache.«
Als er Ruths skeptische Miene bemerkte, setzte er hinzu: »Und ich könnte Sie wahrscheinlich unter einem ganzen Haufen historischer Analogien begraben. Nehmen wir als Beispiel eine der beiden Gesellschaften in der Menschheitsgeschichte, die ursprünglich zur Prägung des Begriffes ›Totalitarismus‹ geführt hat: die antike Sowjetunion. Als diese zusammenbrach, kaum mehr als ein Jahrhundert vor der Diaspora, hat es nicht allzu lange gedauert, bis sich
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