Die Fackel der Freiheit
man durchaus den Eindruck haben konnte, man befinde sich im Freien. Aber die einzelnen Arbeitsräume und Büros der jeweiligen Forscher hatte man so gestaltet, dass sie auch wie echte Arbeitsräume und Büros aussahen, denn bemerkenswert viele Personen schienen ernstliche Schwierigkeiten damit zu haben, sich ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren, wenn sie sich doch ›im Freien‹ befanden. Andererseits hatte man die Entscheidung, wie die einzelnen Arbeitsräume denn nun zu gestalten seien, den jeweiligen Teamangehörigen überlassen, und die meisten von ihnen hatten sich für ›Fenster‹ entschieden, die freien Blick auf die gleichen Landschaften gestatteten, wie man sie auf den Korridoren sah. Mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter hatte sich dazu auch noch für ›Oberlichter‹ entschieden, durch die man den Himmel sehen konnte - einen Himmel, der sich an die jeweilige Tageszeit anpasste, die in den Illusionen auf dem Korridor gerade herrschte. Und beides wiederum war mit der Uhrzeit synchronisiert, die außerhalb des Centers tatsächlich galt.
Das Ergebnis war eine Arbeitsumgebung, in der man nicht den Eindruck hatte, man befinde sich in einem riesigen Bunker. Zugleich blieben die inneren Uhren der Forscher an die auf Mesa herrschende Echtzeit angepasst - was nicht unwichtig war, schließlich gingen sie nach Feierabend auch nach Hause.
Bedauerlicherweise reicht das nicht aus, um dafür zu sorgen, dass sie alle konzentriert und produktiv bleiben, ging es McBryde düster durch den Kopf, und er tippte auf die virtuelle Tastatur, um den Bildausschnitt zu vergrößern, der Herlander Simões' Team bei der Arbeit zeigte. Er verschob das Bild auf die Mitte der smarten Wand und aktivierte den Zoom, um den Hyperphysiker genauer betrachten zu können.
In mancherlei Hinsicht sah Simões jetzt tatsächlich besser aus als bei seinem ersten Gespräch mit McBryde damals. Das war jetzt fast sechs T-Monate her. Er achtete zumindest deutlich mehr auf sein Äußeres, und soweit McBryde das beurteilen konnte, schlief er auch wieder regelmäßiger. Doch immer wieder kam es zu depressiven Schüben. Sie schienen zwar seltener zu werden, doch laut seiner Therapeutin waren sie dafür deutlich heftiger und düsterer. Und auch McBryde selbst war nicht entgangen, dass Simões' gelegentliche Wutausbrüche - die vor dem Tod seiner Tochter überhaupt nicht Teil seines liebenswürdigen, entspannten Charakters gewesen waren - zunehmend gewalttätig wurden.
Noch war er nicht so weit, tatsächlich seine Kollegen anzugreifen. Noch nicht. Doch diese Wutausbrüche, bei denen ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg und er zunehmend ausgiebig fluchte, hatten dafür gesorgt, dass seine Kollegen sich immer weiter vor ihm zurückzogen. Viele von ihnen waren einst mit ihm und seiner Frau eng befreundet gewesen - damals, vor Francescas Tod -, und einige schienen auch immer noch ernstlich bemüht, zumindest ein gewisses Maß an persönlichem Kontakt aufrechterhalten zu wollen. Doch auch sie hatten sich hinter eine schützende Wand aus Förmlichkeiten zurückgezogen. Die anderen Mitglieder seines Teams hingegen, sosehr sie auch Mitleid mit ihm haben mochten, gingen Simões aus dem Weg, wann immer das möglich war. Und wenn es nicht gelang, dann beschränkten sie sich auf ein Minimum an erforderlichen Worten. Es war schmerzhaft offenkundig, dass sie ihn schon abgeschrieben hatten, und drei von ihnen standen kurz davor, deutlich zu bekunden, dass sie keinerlei Mitleid mit ihm hatten. Das Beste, was McBryde über diese drei sagen konnte, das war, dass sie zumindest nicht offen ausgesprochen hatten, die Entscheidung des Ausschusses im Falle von Francesca Simões gutzuheißen - wenigstens nicht unter Umständen, in denen Herlander es möglicherweise mitbekäme. Andererseits zweifelte McBryde ernstlich daran, dass es ihnen allzu viel ausmachen würde, sollte Herlander es doch hören.
Ihr derzeitiges Projekt stand kurz vor dem Abschluss, und das war gut und schlecht gleichermaßen. Die Leistungssteigerung des ›Blitzantriebs‹, die man sich von ihren Forschungsarbeiten versprach, war natürlich eindeutig positiv zu werten. Und dass Simões die ganze Zeit über mehr oder minder arbeitsfähig geblieben war, empfand Jack McBryde sowohl aus beruflicher als auch aus ganz persönlicher Sicht ebenfalls sehr positiv. Doch bedauerlicherweise war Herlander Simões, so talentiert und fähig er auch sein mochte, und so viel er bereits geleistet hatte, für die
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