Die Fäden des Schicksals
auch Charlie. Verdirb dir das nicht. Du hast so viel Glück, dafür musst du dich eben mit Freundschaft begnügen.
Es war schon Nachmittag, als wir das Gespräch auf der Bank hinter uns hatten. Garrett wollte gleich zurück in die Wohnung und ein paar Reste essen, die von der Party übrig geblieben waren, bevor er Margot im Laden ablöste. Ich hatte noch etwas zu erledigen und versprach, später nachzukommen.
Endlich hatte es aufgehört zu regnen. Auf dem Weg zum Grill sprang ich über ein paar Pfützen.
Im Restaurant saß noch ein einzelnes Pärchen bei Kaffee und Dessert. Die Kellner waren alle schon nach Hause gegangen, und Charlie stand mit dem Rücken zur Tür hinter der Theke, ein Clipboard in der Hand.
»Haben Sie einen Einzeltisch?«, fragte ich.
»Es ist schon nach drei. Die Küche hat geschlossen.« Er drehte sich um. »Oh, hallo, Evelyn. Ich habe gar nicht gemerkt, dass du es bist. Aber die Küche hat wirklich zu. Wenn du Hunger hast, könnte ich dir einen Teller Suppe holen. Etwas Besseres kann ich im Augenblick leider nicht bieten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich nur besuchen. Heute Morgen war ich im Bean. Haben wir uns verpasst?«
»Nein. Ich war heute früher hier, weil ich herauskriegen wollte, warum unsere Whiskyvorräte so schnell zusammenschrumpfen. Entweder genehmigt sich einer meiner Kellner heimlich ein paar Schlückchen, oder sie geben ihren Freunden einen aus, wenn ich nicht da bin. Vielleicht schenken sie auch nur zu großzügig ein.« Er zuckte die Achseln. »Wie auch immer. Jedenfalls kostet es mein Geld, und deshalb muss es aufhören.«
»Wahrscheinlich ist es der letztere Grund, Charlie. Deine Kellner sind nicht unehrlich, bloß zu freigiebig. Kein Wunder«, fügte ich neckend hinzu. »Das haben sie sich bei ihrem Chef abgeschaut.«
Charlie verzog keine Miene. »Ich muss jetzt weitermachen, Evelyn. Und danach muss ich zum Markt und etwas einkaufen, bevor die Küche um fünf wieder aufmacht. Für Besuch habe ich heute wirklich keine Zeit.«
Ganz klar, Abigail hatte sich geirrt, und ich hatte recht gehabt. Charlie war eine Laus über die Leber gelaufen. Wie bereits auf der Party wollte er mich auch jetzt abwimmeln, aber ich war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.
»Bis dahin sind es noch fast drei Stunden, Charlie. Was ich dir zu sagen habe, dauert keine fünf Minuten.«
»Also gut. Worum geht’s?«
»Was ist los? Warum bist du böse mit mir?«
»Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
Unbeirrt starrte ich ihn an. »Entschuldige. Ich nehme zurück, was ich eben über die fünf Minuten gesagt habe. Wenn ich dir nämlich die Würmer aus der Nase ziehen muss, dann dauert es fünf Stunden. Und außerdem wird es eine unangenehme Prozedur.«
»Evelyn«, erwiderte er, »abgesehen davon, dass du mich mit deinem Gequassel von der Arbeit abhältst, ist gar nichts mit mir los. Ich bin dir nicht böse oder so. Wenn ich den Eindruck mache, dann nur, weil mir der Scotch ausgegangen ist und ich mich über mein Personal geärgert habe.«
Er versuchte, die Schärfe in seinem Ton zu mildern, und streckte die Hände aus wie ein Zauberer, der zeigen will, dass er nichts im Ärmel versteckt. Doch mich konnte er nicht für dumm verkaufen.
»Du ärgerst dich ständig über dein Personal, Charlie. Es steckt mehr dahinter«, beharrte ich. »Also raus mit der Sprache, was hast du? Du kannst es mir sagen, wir sind doch Freunde.«
Charlies Augenbrauen schossen nach oben. »Ach so, wir sind also Freunde? Und ich habe mich schon gewundert.«
»Was soll das denn heißen? Stimmt es vielleicht nicht?«
»Doch, wenn du es sagst, Evelyn. Freunde. Schön. Ist ja toll. Und jetzt, meine liebe Freundin, habe ich zu tun …« Mit finsterem Blick kam er hinter der Theke hervor. »… wenn du nichts dagegen hast.«
Ich ging am Tresen entlang und versperrte ihm den Weg. »Doch, das habe ich. Um Himmels willen, Charlie. Was ist denn in dich gefahren? Ein bisschen grantig bist du ja immer. Komischerweise gehört das zu deinem Charme. Aber heute bist du einfach unausstehlich. Sag mir jetzt, was los ist, oder ich nehme eine von deinen halb vollen Whiskyflaschen und hau sie dir über den Schädel, bis du Vernunft annimmst!« Die letzten beiden Gäste verdrehten den Hals, um zu sehen, was da vor sich ging.
»Leise! Ich habe Kundschaft!«, zischte Charlie.
Ich stellte mich breitbeinig hin und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist mir egal.« Dennoch senkte ich meine Stimme ein wenig.
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