Die Fährte der Toten
alles Dinge, die er für Fälle wie diesen aufbewahrt hat.
Mit einem unguten Gefühl betrachtet er den Umschlag , den er damals über seine ganz speziellen Kanäle bekommen hat. Er hatte nie wieder hineingeschaut. Du wolltest nicht die Gesichter der Menschen sehen, die du verkauft hast, denkt er. Nichts von ihrer Geschichte wissen. Du wolltest nur das Geld und danach deine Ruhe.
Mit der es jetzt vorbei ist. Warum hat er sich damals eigentlich auf diese Sache eingelassen? Weil du nach oben wolltest, zischt es in seinem Kopf. Weil du keine Lust hattest, ewig nur ein kleiner Bulle zu sein, der sich nie etwas würde leisten können. Stattdessen hast du dich auf einen Pakt mit dem Teufel eingelassen.
Kyles Gedanken wandern zurück zu dem Anruf, der sein Leben mehr verändert hat als ihm bisher bewusst war. Giorgios Nervosität war spürbar gewesen, selbst durch das Telefon. Kyle hatte es kaum glauben können. Normalerweise war er es, der Giorgio wegen Informationen anrief, meist mit eher mauem Ergebnis. Giorgio war kein klassischer Spitzel. Er hielt sich an die ungeschriebenen Regeln und das war es dann. Du nervst mich nicht zu sehr und ich geb dir ab und zu was, damit du glänzen kannst. Quid pro quo, wie es im Buche stand.
Doch in dieser Nacht machte Giorgio ihm dieses unglaubliche Angebot. Du hättest es besser wissen müssen, denkt er. Doch zum einen war das Angebot einfach zu verlockend. Und zweitens war da das Gefühl, dass ein 'Nein' nicht akzeptiert würde. Und war nicht alles gut gelaufen?
War es, denkt er. Bis jetzt. Wo ist nochmal das Foto von Lee? Kyle sucht hektisch in seinen Unterlagen, dann findet er den Umschlag. Er holt das Foto hervor und betrachtet es. Wieder überkommt ihn das unangenehme Gefühl. dass sie so gar nicht gealtert zu sein scheint. Kyle schüttelt den Kopf. Wie hängt sie in dieser Sache drin? Warum jagt sie diese Typen? Was ist ihr Antrieb?
Als wenn du das nicht weist, höhnt eine Stimme in seinem Kopf. Sieh doch einfach genau hin. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst – die Wahrheit bleibt immer dieselbe. Er blättert noch einmal durch die Dokumente. Kopien von Akten, Urkunden, Fotos...
Kyle breitet die Aufnahmen auf dem Tisch vor sich aus. Wir kommen der Sache näher, Kyle.
Drei Aufnahmen. Eine Familie. Vater, Mutter, Sohn. Keine Tochter. Drei Menschen, die schon lange tot sind. Weil er sie verraten hat. Wo ist die Verbindung? Kyle beginnt es zu ahnen, aber er will einen Beweis. Er betrachtet die Porträts der Eltern mit angestrengtem Blick. Der Vater – ein Navajo. Schwarze glänzende Haare, bronzefarbene Haut. Ernster Blick. Die Mutter – eine Weiße. Lange blonde Haare, wundervolle meergrüne Augen. Augen, die er schon einmal gesehen hat.
Lees Augen.
Kyle schließt die Augen und wirft das Foto auf den Tisch. Im Geiste schimpft er sich einen arroganten Narren. Die ganze Zeit hat er an dem Offensichtlichen vorbei gestarrt und sich mit halbgaren Antworten zufrieden gegeben. Jetzt bekommt er die Quittung dafür. Und diese Schlampe – sie wusste es von Anfang an, da ist er sich sicher. Sie hat ihn an der Nase herumgeführt wie einen Zirkusbär durch die Manege.
Kyle kramt mit zittrigen Fingern sein Handy hervor und wählt eine Nummer, von der er geglaubt hatte, dass er sie nie wieder brauchen würde. Das Freizeichen malträtiert sein Ohr, während er mit einem Kugelschreiber herumspielt. Als jemand abnimmt, erschrickt Kyle fast ein wenig. Viel zu schnell, denkt er. Als wenn er auf deinen Anruf gewartet hat.
'Wieso überrascht es mich nicht, nach all der Zeit wieder von dir zu hören.'
Dieser unverkennbare Akzent. Kyle fühlt sich gedemütigt, bevor er überhaupt einen Satz herausgebracht hat. Dass er diese Ratte um Informationen anbetteln muss - es kann alles nicht wahr sein.
'Keine Ahnung. Verrat es mir.'
Kyle wartet auf eine Antwort, aber das beredete Schweigen am anderen Ende sagt mehr als tausend Worte. Dieses blöde Arschloch weiß ganz genau, wer Koch ist und wer Kellner.
'Ich brauche Informationen.'
'So, du brauchst also Informationen. Und warum glaubst du, dass ich dir helfen kann und das dann auch tun werde?'
'Weil ich dir eine ganz einfache Wahl lassen werde – du kooperierst, oder du hast ein Problem. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?'
'Ja. Hast du. Du drohst mir. Ich mag das nicht. Aber da wir uns kennen, will ich dir erst einmal zuhören. Also, was willst du
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