Die Fährte der Toten
breite Schiebetür ist weit geöffnet. Pete atmet einmal tief durch, zieht seinen Revolver und macht sich mit langsamen Schritten auf den Weg. Kurz unterbricht die Natur ihr Lied, nur um es dann wieder aufzunehmen, dem Leben und Sterben der Menschen gegenüber gleichgültig wie eh und je.
***
Das ausladende Wohnzimmer wird nur durch das fahle Licht des Mondes erhellt. Pete kneift die Augen zusammen und blickt sich um. Ein paar Tourplakate an der Wand erzählen von längst vergangenen Zeiten. Eure Zeit ist schon lange abgelaufen ist, denkt er. Genau wie meine. In einer Ecke ist eine teure Musikanlage aufgebaut, und auf einem Tisch stehen ein paar gerahmte Fotos. Pete geht hinüber und betrachtet sie. Alte Erinnerungen kommen in ihm hoch an eine Zeit, als die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war. Als er noch mit Jerry und Elton durch das Land zog. Als er und Jerry noch Freunde waren. Als Elton noch gelebt hat. Als es noch Loyalität und Ehre gab. Als der Verrat noch nicht seine hässliche Fratze gezeigt hatte.
'Hallo Pete. Ich hatte dich bereits früher erwartet.'
Pete zuckt beim Klang der so vertrauten Stimme zusammen und wirbelt herum, die Waffe im Anschlag – und lässt sie langsam sinken, als er die zusammengesunkene, auf zwei Krücken gestützte Gestalt erblickt, die im Türrahmen steht.
'Überrascht?'
Jerry lacht kurz auf und humpelt in Richtung eines Sessels. Er lässt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht hineinfallen und macht eine Leselampe an, die sein hageres, eingefallenes Gesicht erleuchtet.
'Ich nehme an, du hattest einen anderen Anblick erwartet, nicht wahr? Hätte die Sache einfacher für dich gemacht. Ich muss dich enttäuschen – ich bin nur noch ein Krüppel, der in diesem komfortablen Luxussarg vor sich hin fault.'
'Bist du allein?'
'Ja. Meine Krankenschwester ist nach Hause gefahren. Sie wird erst morgen wiederkommen.'
Pete nickt. Jerry lacht leise.
‘Du bist so schweigsam, alter Kamerad. Wo wir uns doch so lange nicht mehr gesehen haben. Gar keine Begrüßung für deinen alten Freund über?'
Als Pete weiter schweigt, fährt Jerry fort.
'Ah, ich verstehe. Du bist sauer auf mich. Kann ich verstehen. Wär ich wohl auch. Ändert aber nichts daran, dass die Dinge sind, wie sie sind.'
'Warum? Warum hast du es getan? Warum hast du sie alle verraten und verkauft? Warum, Jerry?'
Jerry lehnt sich in seinem Sessel zurück.
'Weil ich das Leben auf der Straße einfach satt hatte. Du vielleicht nicht, aber ich schon. Man hat mir die Chance gegeben, noch mal von vorne anzufangen. Ich habe sie genutzt.'
'Und dafür bist du über die Leichen deiner Freunde gegangen.'
Jerry zuckt mit den Schultern.
'Sie wären so oder so gestorben. Weißt du, wenn es eines gibt, was ich mir vorwerfe, dann dass ich nicht den Mumm hatte zu tun, was ich hätte tun müssen, nachdem wir das Mädchen damals aufgesammelt hatten. Nämlich sie abzuknallen und den richtigen Leuten Vollzug zu melden.
Aber so ist das halt im Leben - wir müssen mit dem klarkommen, was wir getan haben. Und was wir nicht getan haben. Das soll jetzt keine billige Ausrede sein. Es ist einfach die Wahrheit. Und eine weitere Wahrheit ist, dass ich überlebt habe.'
Er macht eine matte Bewegung mit seiner Hand, als wolle er etwas beiseite wischen.
'Und jetzt bin ich am Ende der Straße angekommen. So wie du auch, Pete. Die Typen, die damals hinter ihr her waren - sie haben deine Nummer. Und sie werden dich finden. So wie die anderen, die wegen ihr gestorben sind.'
Pete nickt.
'Ja, so wird es wohl sein. Aber ich nehme mal nicht an, dass du mich herbestellt hast, um mir das zu sagen.
'Nein. Ich habe einen Handel für dich. Ich erzähle dir etwas über deine heißgeliebte Lee, was dich brennend interessieren wird. Und du, du wirst mir einen würdigen Abgang verschaffen. Bevor es die Krankheit tut, die mich von innen heraus auffrisst.'
Pete überlegt einen Moment, dann nickt er.
'Einverstanden.'
Jerry lächelt und schließt kurz die Augen, bevor er fortfährt.
'Der Typ, der Lee damals angesprochen hat und wegen dem ihr euch zerstritten habt, dieser McCarson – er hat mich vor kurzem kontaktiert. Wollte etwas über sie wissen. Du kannst dir sicherlich denken, warum. Also, wenn du ihr einen Gefallen tun willst – kümmere dich um den Kerl. Endgültig.'
'Woher soll ich wissen, dass du mir keine Märchen
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