Die Fährte der Toten
sie sich in ihr Refugium zurück. Gedankenverloren frottiert sie sich die Haare. Will sie wirklich die Wahrheit wissen? Sie ist hin- und hergerissen. Tief in ihrem Inneren weiß sie, dass sie die Antwort fürchtet. Wissen allein bringt nicht unbedingt Gewinn - im Gegenteil, im schlimmsten Fall ist es die Knochensaat, die nichts als Leid hervorbringt. Mit einem Seufzer legt sie sich auf ihr Bett.
Jemand wacht über mich, denkt sie. Nur dass sie sich nicht sicher ist, ob sie das freuen soll oder nicht. Mit diesem Gedanken gleitet Lee davon an den Ort ohne Dunkelheit, der für sie der Nexus aller Dinge ist.
Menschen / 7
Jeder Mord erzählt eine Geschichte. Sie kann von Rache handeln, von Habgier, von Kälte, von Angst. Manchmal ist es auch eine Geschichte von schlichtem Pech oder einer unglücklichen Verkettung von Umständen. Die Geschichte dieses Mordes handelt von Zorn und kaltem, weißglühenden Hass.
Kyle geht in die Hocke und lässt die Szenerie auf sich einwirken, während er mit Daumen und Zeigefinger seine Unterlippe knetet. Wer immer das hier getan hat, er oder sie war in einer gottverdammt schlechten Stimmung. Die Schnitte im Gesicht lassen darauf schließen, dass jemand dem Opfer ein paar höchst unangenehme Fragen gestellt hat. Und es war egal, ob es sie beantworten konnte oder nicht. Denn der Täter hat ihm die Kehle herausgerissen.
'McCarson! Kommen Sie doch mal rüber!'
Kyle verzieht den Mund und geht zu Hendricks hinüber. Der Kerl sieht aus wie der wandelnde Tod, denkt er. Mit seinem knochigen Schädel, seinen tiefliegenden Augen und seiner hohen Stirn könnte er glatt in Horrorfilmen auftreten. Auch wenn der bescheuerte Rollkragenpullover dann wohl in der Mottenkiste verschwinden müsste. Diese Typen von der Spurensicherung sind doch alles Freaks, die selber irgendwann durchdrehen. Gleich darf er sich wieder so eine tolle Theorie anhören, wer der Killer war. Wenn es danach ginge, bräuchte man Leute wie ihn eigentlich gar nicht. Das können diese Schlaumeier alles selbst herausfinden, ohne auch nur einen einzigen Verdächtigen zu befragen oder sich irgendwelche Nächte bei Observationen oder ähnlichem Mist um die Ohren zu hauen.
'Schauen Sie nicht so genervt McCarson. Ich habe gerade eben die Daten bekommen. Computer sind doch was Feines, nicht wahr? Der so unsanft zu Tode gekommene hieß Leander Wilcott. Ein bekannter Kartellkiller, der bis zum Hals in Drogengeschäften steckte und sich vor nicht allzu langer Zeit zur Ruhe gesetzt hatte.'
'Wie schön. Sozialverträgliches Ableben nennt man das wohl. Kann der arme Kerl doch glatt seine Rente nicht mehr verjubeln. Was für ein Jammer.'
Hendricks schaut Kyle leicht irritiert an. Kyle hebt beschwichtigend die Hände. Schon wieder einer von den Heinis, die Sarkasmus für eine Seifenmarke halten.
'Ok, tut mir leid. Ich hatte eine lange Fahrt. Schießen Sie los – ich bin ganz Ohr.'
Hendricks fährt fort.
'Ein interessanter Aspekt ist die Waffe, mit der der Kerl umgebracht, oder besser gesagt, geschlachtet wurde – wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, jemand hat sich die Krallen geschärft und dann seiner schlechten Laune freien Lauf gelassen.'
'Ich dachte, die Tatwaffe wurde gefunden', sagt Kyle.
'Ja und nein. Wir haben ein Messer gefunden. Aber das war nicht die Waffe, mit der ihm der Täter diese Wunden zugefügt hat. Wer auch immer es war – er hatte Kraft. Viel Kraft. Schauen Sie sich die Wunde an. Das war die Hand eines humanoiden Wesens, die das getan hat. Der Täter hat dem Opfer seine Finger in den Hals gerammt und ihn dann einfach zerfetzt, als wäre es eine Plastikverpackung. Interessanterweise haben wir nur wenig Blut gefunden. Hätte eigentlich eine Riesenpfütze geben müssen.'
'Könnte es auch eine Frau gewesen sein?'
'Ein Frau? Nein, nicht bei diesen Verletzungen. Das ist zu grob, zu brutal. Frauen morden nicht so.
Kyle nickt.
'Sonst noch was?'
'Ja. Laut unserer Statistik ist das schon Nummer Drei, die es auf diese Weise gerissen hat. Nicht dass ich es traurig finde. Sieht einfach nur so aus, als wäre diese Gegend inzwischen kein gutes Pflaster mehr für diese Typen.'
Kyle runzelt die Stirn.
'Was meinen Sie damit?'
'Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein mächtiger Drogenboss in seinem Hotelzimmer gekillt. Sein Name war Manzana. Ein dicker Fisch im Drogengeschäft mit einem ausgeprägten Hang zur Gewalttätigkeit
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