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Die Fährte der Toten

Die Fährte der Toten

Titel: Die Fährte der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael White
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nicht die Zeit für Sentimentalitäten. Kyle inspiziert den engen, mit muffiger Luft angefüllten Raum. Das letzte Sonnenlicht sickert durch ein kleines Fenster, nur noch wenig Helligkeit verbreitend. In der Ecke ein Schrank, in dem noch ein paar billige Kleidungsstücke vergeblich darauf warten, abgeholt zu werden. Ein kleiner Tisch, auf dem ein paar Schminksachen achtlos verstreut herumliegen, ein Stuhl, über dem ein Handtuch hängt, ein schmales Bett.
     
    Alles durchsucht und von der Spurensicherung auf den Kopf gestellt. Nichts, was ihm auf Anhieb irgendeinen Hinweis gibt. Was hat er auch anderes erwartet? Nur eine weitere tote Spur. Kyles geschulter Blick wandert eher nachlässig durch den Raum - und bleibt dann an dem Umschlag haften, der so aufreizend auffällig auf dem Bett liegt, dass er ihn unbewusst übersehen hat. Eine Botschaft. Von jemandem, der erst vor kurzem hier war. Und der wusste, dass er kommen würde. Auf der Suche nach einem Mädchen, das verschwunden ist. Kyle zieht seine Waffe und geht dann zum Bett herüber.
     
    Der Umschlag ist aus teurem Papier, das man fast altmodisch nennen könnte. Genau wie das blutrote Siegel aus Wachs, mit dem er verschlossen ist. Ein irritierendes Gefühl von Ehrfurcht macht sich in ihm breit. Das Ende des Weges, denkt er. Langsam holt Kyle die handgeschriebene Notiz hervor. Eine Anschrift. Sonst nichts. Er runzelt die Stirn und betrachtet das Blatt genauer. Verfasst mit roter Tinte, die einen eigenartigen Geruch zu haben scheint. Süß, verführerisch...und gleichzeitig faulig. Wie ein wundervoller und doch verdorbener Wein. Er konzentriert sich und schnuppert noch einmal. Nein, das ist keine Tinte.
     
    Diese Nachricht wurde mit Blut geschrieben. Frischem Blut. Kyle erschauert. Wer auch immer der Verfasser dieser Botschaft ist – er oder sie kann noch nicht lange verschwunden sein. Angespannt schaut er sich noch einmal um und macht einen Schritt zu Seite, um nicht im Fenster sichtbar zu sein. Fast hat er das Gefühl, ein lautloses spöttisches Lachen zu hören.
     
    Langsam steckt er das Papier wieder in den Umschlag zurück und verlässt dann mit schnellen Schritten das Haus. Als er seinen Wagen erreicht hat, kommt es ihm fast vor wie eine Flucht, und er wird das Gefühl nicht los, dass ihn lauernde Blicke verfolgen, als er sich hinter das Steuer quetscht und mit quietschenden Reifen davonrast.

 
Menschen / 8
     
    Lee schwebt. Um sie herum ist Finsternis, und dennoch fühlt sie sich sicher und geborgen. Sie beginnt, sich ein wenig zu bewegen, und federleicht gleitet sie durch die lichtlose Umgebung, als sie plötzlich einen Hauch von Helligkeit wahrnimmt, gefolgt von einem verführerischen Sirenengesang, ganz so als würde jemand sie zu sich rufen. Sie streckt ihren Körper und beginnt, dem Licht entgegen zu streben und bewegt sich spiralförmig langsam nach oben.
     
    Anscheinend ist sie in einem See oder im Meer, denn um sie herum ist Wasser, das nun langsam eine kristallklare blaue Färbung annimmt. Gleich wird sie durch die Oberfläche brechen, die Sonne auf ihrer Haut spüren und den Ursprung der Stimme von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, und alle Geheimnisse werden ihr offenbart. Nur noch ein paar Züge und dann...
     
    ...ist sie von einem Augenblick auf den anderen wieder im Hier und Jetzt. Sie hat diesen Moment schon so oft erlebt, aber so beunruhigt war sie noch nie, wenn sie aus ihrem Schlummer wieder in die Realität gerissen wird. Der Traum war angenehm, und trotzdem - irgendetwas ist falsch. Nur was?
     
    Lautlos erhebt sie sich, wirft sich ihren Kimono über den nackten Körper und verlässt ihre Zuflucht. Die Dämmerung ist angebrochen und die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden. Sie geht über den Rasen, die leichte Anhöhe hinauf und setzt sich in das noch warme Gras, um wenigstens diese Illusion des Gefühls von Licht und Wärme zu genießen. Auch wenn sie sehr wohl weiß, dass es nur Enttäuschung nach sich ziehen wird. Denn die Sonne ist für immer aus ihrer Existenz verschwunden, genau wie das Blau des Himmels. Ihr bleiben nur die Sterne und der Mond. Für einen kurzen Moment wandern ihre Gedanken wieder zurück in die Zeit, als sie noch ein Mensch war, und mit der Erinnerung kehrt der Schmerz zurück, der nie vergehen wird.
     
    Ihr Blick erfasst das bunt glitzernde und doch so kalte Lichtermeer der Stadt, und die Sehnsucht, sich dorthin zu begeben und das Leben an sich zu reißen, das ihr durch die Finger

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